Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
TS 96: Menschen auf fremden Sternen

TS 96: Menschen auf fremden Sternen

Titel: TS 96: Menschen auf fremden Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chad Oliver
Vom Netzwerk:
unzählige aufgereihte Schädel, deren leere Augenhöhlen furchtbare Schrecken ahnen ließen. Es war kein Wunder, daß das Volk den Priestern respektvoll auswich.
    Die mit Tempeln gekrönten Pyramiden sahen eindrucksvoll aus, doch Dryden war so gut vorbereitet, daß er ihre Existenz als ganz selbstverständlich empfand. Er ging an einem Kanal entlang, bis er den Tlatelocolcomarkt erreichte, einen mit geschliffenen Steinen gepflasterten Platz, auf dem die Händler Gemüse, Werkzeuge aus Obsidian, Federn, Gold und andere Kostbarkeiten verkauften. Auch dieser große Platz war von alles überragenden Tempeln eingesäumt. Die Stadt war existent, daran bestand kein Zweifel. Und doch kam Dryden alles wie ein Traum vor, das Lachen der Menschen, ihr geschäftiges Treiben und das geheime Grauen. All diese Leute wußten noch nichts von der Zukunft, von der bald zu erwartenden Eroberung durch die Spanier. Wade Dryden kannte die Zukunft, und dieses Wissen stimmte ihn nicht froh. Er durfte sich aber nicht von Stimmungen beherrschen lassen. Was im Augenblick seine Gegenwart war, gehörte in Wahrheit längst der Vergangenheit an. Er riß sich zusammen und ging würdevoll seines Wegs.
     
    *
     
    Der Innenraum des Tempels war erstaunlich klein. Die ungeheuer starken Mauern beanspruchten viel Platz, so daß der Innenraum des Tempels in keinem Verhältnis zu seinen äußeren Maßen stand. Das hatte auch bautechnische Gründe, denn den Azteken war das Gewölbe unbekannt. Die verzierte Decke wurde deshalb von vielen Säulen gestützt. Von irgendwoher drang trübes Licht in den Raum und machte ihn noch unheimlicher.
    Dryden ging an Kindern vorbei, die gerade in die Mysterien der Religion eingeweiht wurden. In einem kleinen Nebenraum fand er einen untersetzten Priester mit klaren, gefährlich aussehenden Augen.
    Wade begrüßte ihn formvollendet und brachte sein Anliegen vor. „Ich stehe im Dienste des Tezacatlipoca von Texococo und komme zu dir, um dich um einen Rat zu bitten.“
    „Worum handelt es sich?“ fragte der Priester kurz.
    „Ich bringe eine Botschaft“, sagte Wade ernst. „Ich habe schlimme Zeichen gesehen.“
    Der Priester verschränkte die Arme. „Ich höre“, sagte er unbeeindruckt.
    Wade begann seine Voraussagen. „Ich habe merkwürdige Dinge gesehen, vierbeinige Monster von unbeschreiblichem Aussehen. In meinem Traum sah ich einen Fremden, der diese Untiere in die Stadt brachte.“
    Er beobachtete den Priester, der keine Anteilnahme erkennen ließ. Dann spielte er geschickt auf die Rivalität zwischen Tenochitlan und Tlatelocolco an. „Der Fremde ist von Mictlantecuhtli, dem Gott des Todes, zu uns geschickt worden. Er bezeichnet sich als unser aller Freund, aber in Wahrheit bildet er Montezumas Krieger im Gebrauch dieser Höllentiere aus.“
    Der Priester machte eine unruhige Bewegung. Wade wußte, daß er eine empfindliche Stelle getroffen hatte.
    „Was willst du?“ fragte der Priester sehr direkt.
    Wade Dryden verschanzte sich wieder hinter Prophezeiungen. „Der Fremde und seine Untiere müssen vernichtet werden, sonst wird es furchtbare Katastrophen geben. In zehn Jahren werden die Priester die Kinder opfern, doch es wird trotz des Opfers nicht regnen.“
    Der Priester blieb unbeeindruckt. Es war nicht schwer, Hungerkatastrophen vorauszusagen. „Ich brauche Beweise“, sagte er listig.
    Wade sprach nun leise und eindringlich. „Vorerst ist nur Texococo gefährdet. Die Untiere werden Opfer suchen und töten. Wenn sie nicht aufgehalten werden, wird das Unheil auch über euch kommen.“
    Die schwarzen Augen des Priesters blieben unerforschlich.
    Wade wurde unruhig. „Du mußt die anderen informieren!“ sagte er eindringlich. Um dem Priester eine Probe seiner übernatürlichen Fähigkeiten zu zeigen, warf er zwei Rauchtabletten auf den Boden und eilte sofort ins Freie. Draußen mischte er sich unter das Volk und war so vor einer eventuellen Verfolgung sicher.
    Jeder Schritt war vorbereitet. Er hatte den Samen des Mißtrauens und der Angst ausgestreut, das genügte. Die Gesellschaftsordnung der Azteken war eine Theokratie. Wer den Priestern mißfiel, war erledigt, denn sie allein hatten alle Macht im Staate. Wade eilte zum Texococosee, setzte sich in ein Boot und ruderte nach Osten. Irgendwo vor ihm lag Texococo, irgendwo befand sich Daniel Hughes, derMann, den er suchte.
     
    *
     
    Der Mond stand als bleiche Scheibe über den Vulkanen, als Wade Texococo erreichte. Auf seinem Wege durch die Stadt wurde er

Weitere Kostenlose Bücher