TS 99: Exil auf Centaurus
Konditor wartet unten im Keller bis Mittag“, sagte sie mit müder aber stolzer Stimme. „Dann wird er sich von seinen Fesseln befreien – ich lockerte ihm die Knoten – und mich als Verräterin anzeigen. Er bat mich, Ihnen auszurichten, Sie mögen sich seiner erinnern, wenn Sie nach Philadelphia zurückkommen.“
„Das haben Sie ausgezeichnet gemacht“, sagte er dankbar. Er war überrascht und erfreut, daß sie alles so sauber erledigt hatte; abgesehen davon, daß sie die Zeit zu knapp bemessen hatte. Er hätte sich sonst Sorgen um den Konditor gemacht, der da gefesselt und geknebelt weiß Gott wann entdeckt worden wäre.
„Aber was erzählten sie ihm denn, um Himmels willen, daß er so zu uns hält? Schließlich fiel ich ja rücklings über ihn her, versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf, und er wachte erst wieder zum Bündel verschnürt dort unten im Keller auf …“
„Ich klärte ihn über Sie auf“, sagte Mrs. Lemmon einfach. „Daß Sie in die Berge fahren und dort alles organisieren, daß Sie dann zurückkommen und die Fremden hinauswerfen würden. Das werden Sie doch tun, nicht wahr? Verdienen die Fremden das nicht, nach alledem, was sie Ihnen angetan haben?“
Michael Wireman blinzelte. Es fiel ihm nicht ein, daß für Mrs. Lemmon die Fäden der Handlung ganz selbstverständlich von A nach B liefen, daß Ungerechtigkeit immer bestraft würde. Und angenommen er tat, was er nun tun mußte, könnte es sich je als falsch herausstellen? Hatte sich ihre Erfahrung als Abenteuerroman-Verehrerin nicht bereits als lohnend erwiesen?
„Etwas Ähnliches“, sagte er, die breite Straße hinunterfahrend, die später in den Highway münden würde, der in die Berge führte. Erstaunlich, wie viel sie sich zusammengereimt hatte, aus der bloßen Begegnung mit ihm und den wenigen Worten, die er ihr gesagt hatte. Und wie nahe der Wahrheit sie gekommen war!
„Ich wußte es!“ rief Mrs. Lemmon aus, so stolz auf sich selbst wie auf ihn. „Von dem Augenblick an, da ich Sie sah. Ich sagte zu mir: ‚Das ist ein starker Mann. Der weiß, was er tut!’“
Das war so offenkundig lächerlich, daß Michael Wireman sich vor Verlegenheit krümmte. Er dachte nach, wie er ihr diese Illusion rauben könnte. Freiwillig alles zum Scheitern bringen, nur um ihr die Augen zu öffnen? Da blieb lediglich die Möglichkeit, ihr sein Leben des langen und breiten zu erklären, wie er es sah. Vielleicht konnte er auch einen einfachen Mechanismus ersinnen, irgendeine Phrase oder Geste, die eine Illusion zerstören würde, noch ehe sie sich ausgebreitet hatte.
Da er jedoch noch nicht soweit war, saß er einfach sinnend da, verärgert über sie, weil sie nicht fähig war, ihn zu durchschauen, während er sich so gut kannte.
Es ist wirklich so einfach, dachte er. Alle, die in dieser Welt leben, wissen, daß man sich mit ihr abfinden muß, um überhaupt existieren zu können, aber sie lieben sie nicht. Kommt jedoch einer, der sich zur rechten Zeit am rechten Platz befindet, um die Welt zu ändern, um ihnen allen Besseres zu bieten – nichts Perfektes, natürlich, aber Besseres – dann liegt es an jenem, das zu tun.
So einfach war das. Ein Glied reihte sich an das andere.
Michael Wireman fuhr und fuhr …
Niemand hätte ihn jetzt aufhalten können, denn er war dabei, die Gelegenheit zu ergreifen, die Welt zu ändern.
Niemand hätte ihm jetzt Angst einjagen können, denn er hatte ergründet, was er wirklich war, und es gesehen; er hatte die Welt ergründet, und sie verstanden.
Als er älter geworden war und ihm noch viele Dinge anders vorkamen, fragte er sich, ob er sich und die Welt wirklich verstanden hätte, oder ob es nur Überzeugung gewesen wäre. Aber seine Art, die Dinge zu betrachten, hatte sich ja als erfolgreich herausgestellt.
Und so schloß er lächelnd und achselzuckend, daß es jetzt ohnedies zu spät für eine Änderung sei, wie immer die Wahrheit auch aussehen mochte.
7.
Vorsichtig stieg Ralph Wireman aus dem Rumpf des gelandeten C.S.O.-Raumschiffes. Mit einer seiner beinahe durchscheinenden Hände hielt er sich am Geländer der Gangway fest. Tastend schlurfte er vorwärts.
Er fühlte, wie Thomas Harmon ihn mit einer Hand am Ellbogen stützte. Vielleicht, weil er sich in letzter Zeit seiner körperlichen Hilflosigkeit so sehr bewußt geworden war, ärgerte er sich über Harmons taktvolle Hilfe. Harmon war ja schließlich selbst nicht mehr der jüngste. Er sollte sich nicht so aufspielen und Hilfe leisten,
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