TS 99: Exil auf Centaurus
speziell eindrucksvolle Hilfe, um die man ihn nicht gebeten hatte.
Und dennoch: entsprang sie nicht nur der Güte und Rücksichtnahme? War es nicht, als sagte Tom wortlos: „Ich kann mich gut in Sie hineinfühlen?“ Und war das nicht das schönste Geschenk, das ein Mensch dem andern geben kann?
Schluß damit! Er mußte auf andere Gedanken kommen. Rührung überkam ihn so leicht, seit neuestem.
Wirkten sich in den letzten Lebensjahren alle Eindrücke so sehr auf das Gefühlsleben aus? Sind die Alten deshalb so gleichmütig – so sparsam mit mehr als nur einem trüben Lächeln oder einem gezwungenen Lachen –, weil der Sturm ausgedrückter Gefühle sie ansonsten zerbrechen würde?
Zeigten sie deshalb nur ein schwaches Lächeln, war auch im Innern Lachen, Lachen – eine Welt der Freude?
Am halben Weg die Gangway hinunter blieb er stehen und Harmon mit ihm.
Lachen, dachte Ralph Wireman, kein schallendes Gelächter, kein unterdrücktes Kichern, sondern das fröhliche Lachen von Kindern, die die Welt entdecken. Werde ich die Welt jetzt neu entdecken? Werde ich ruhig dasitzen und mit meinen geschärften inneren Sinnen einen neuen Horizont sehen? Ein neues Abenteuer in Gedanken erleben, während sich auf meinem Gesicht nur ein nachdenkliches Lächeln abzeichnet. Ein Lächeln, oder Tränen, vielleicht. Tränen kommen leichter als Lachen. Tränen verbrauchen keinen Atem, Tränen verursachen keine Kieferschmerzen, wenn diese wund sind vom künstlichen Gebiß – ja, die ruhig fließenden Tränen alter Männer und alter Frauen sind auch sicher. Nicht das Schluchzen erwachsener Menschen, sondern Kindertränen; nicht zornige Kindertränen, sondern Tränen, die sie in Augenblicken kindlichen Leids vergießen: das sind die Tränen, die uns wiederkommen, wenn wir sehr alt sind.
Vielleicht, dachte Wireman, überschreiten wir aber doch einmal die Grenze. In einem Augenblick, in dem wir trotz aller Sorgfalt die Kontrolle über unsere Gefühle verlieren. Das wäre dann der Tod. Jeder von uns wird in eine private Welt eingehen: Lachen wird es geben für jene, die sich an Freude, Traurigkeit für alle, die sich an Sorgen erinnern.
Unsere Vergangenheiten, unsere Leben werden mit einem lauten Schlag enden, und dann, wenn wir Uhren und Tage hinter uns gelassen haben, sind wir in der Ewigkeit …
„Die Erde“, sagte Ralph Wireman, die Kiefern betrachtend. „Die Erde, Tom.“
„Dort ist Michael“, bemerkte Thomas Harmon.
Ralph Wireman schaute, blinzelte und streckte den Kopf vor, wie um die Entfernung zwischen sich und dem vagen, vertikalen grünen Pinselstrich auf dem großen weißen Fleck zu verringern. Denn mehr sah er nicht.
„Er spricht mit Captain Lemby.“
„Ich sehe ihn“, sagte Ralph Wireman gereizt.
Die Hacken zusammenschlagend und mit rasselnden Gewehren nahm eine Ehrengarde Aufstellung.
„Man empfängt uns, Ralph.“ Harmon stieß ihn leicht an.
„Gut, gut! Ich kenne das Protokoll genauso wie Sie.“
Zu spät erinnerte sich Ralph Wireman, daß er Thomas Harmon erst vorhin in Gedanken neu eingeschätzt hatte. Schuldbewußt schaute er ihn über die Schulter an. Aber der alte Freund sah nicht beleidigt aus, nur ungeduldig.
Niemand – niemand darf mich straucheln sehen, dachte Ralph Wireman. Ich darf nicht zu langsam gehen, ich darf nicht scharf sprechen, ich darf nicht zeigen, daß es mich anstrengt … Ich muß jemand sein, auf den man sich noch eine Weile verlassen kann.
Aber es wurde immer schwieriger für ihn, diese Gedanken zu halten. Ihnen zu gehorchen, verlangte phantastische Kräfte.
Sonderbar, dachte er, daß mein Verstand so klar ist, wenn es um metaphysische Dinge geht, und so verworren, wenn er sich mit der diesseitigen Welt beschäftigen muß.
Mißbilligend schüttelte er den Kopf. Langsam war er die Gangway hinuntergestiegen, und da stand nun der Junge vor ihm. Lemby, der Bevollmächtigte der C.S.O. war zurückhaltend, und die Ehrengarde, Erdenbürger in C.S.O.-Uniformen, schaute geradeaus.
Weil alle diese Leute da waren, aber nicht teilnahmen, und nur sein Sohn zu ihm sprach, und weil er nur auf so kurze Entfernung etwas sehen konnte, war es Ralph Wireman, als wären Zeit und Raum stehengeblieben. Die Vergangenheit bestand aus einem Stück, kein Abschnitt war jünger als der andere, und erhob sich wie ein Monolith.
„Michael“, sagte Ralph Wireman.
„Wie geht es dir, Vater?“ fragte Michael.
„Mir geht es gut. Deine Mutter …“ Er deutete nach rückwärts. „Sie erholt
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