Tschick (German Edition)
lesen konnte oder später bei Google Earth. Schon beim Querbalken vom T verloren wir die Übersicht. Wir fuhren einfach nur herum, krochen immer weiter einen Hügel hinauf, und als wir ganz oben waren, war das Feld plötzlich zu Ende. Tschick bremste in letzter Sekunde. Mit der hinteren Hälfte standen wir noch im Korn, mit der Schnauze guckte der Lada in die Landschaft hinaus. Sattgrün und steil abfallend erstreckte sich eine Kuhweide vor uns und gab den Blick frei auf endlose Felder, Baumgruppen und kleine Straßen, Hügel und Hügelketten und Berge und Wiesen und Wald. Auf dem Horizont türmten sich die Wolken. Man sah Wetterleuchten über einem fernen Kirchturm, aber es war totenstill. Der vierte Regentropfen klatschte auf die Scheibe. Tschick stellte den Motor ab. Ich drehte Clayderman aus.
Minutenlang schauten wir einfach nur. Kleinere, hellere Wolken flogen unter den schwarzen hindurch. Blaugraue Schleier liefen über die entfernten Hügelketten, über die näheren Hügelketten. Die Wolken hoben sich und kamen wie eine Walze auf uns zu.
« Independence Day », sagte Tschick.
Wir holten Brot, Cola und Marmelade raus, und während wir noch damit beschäftigt waren, ein Picknick in unserem Auto aufzubauen, wurde es finster. Es war früher Nachmittag, aber es wurde finster wie die Nacht. Kurz danach sah ich, wie auf einer Weide eine Kuh umfiel. Ich dachte erst, ich hätte mich getäuscht, aber Tschick hatte es auch gesehen. Alle anderen Kühe hatten sich mit dem Arsch in den Wind gedreht, aber die eine war einfach umgekippt. Und dann hörte der Wind so plötzlich auf, wie er gekommen war. Eine Minute passierte nichts, man konnte jetzt nicht mal mehr die Aufschrift auf der Cola-Flasche lesen. Dann klatschte ein Eimer Wasser auf unsere Frontscheibe, und es kam runter wie eine Wand.
Stundenlang. Es krachte und donnerte und goss. Ein armdicker Ast mit Laub dran flog durchs Tal, als ob ein Kind Drachen steigen ließ. Als am Abend der Regen endlich aufhörte und wir aus dem Wagen kletterten, war das ganze Weizenfeld platt, und die Wiesen vor uns hatten sich in Sumpf verwandelt. Es war unmöglich weiterzufahren, wir wären stecken geblieben. Und deshalb verbrachten wir unsere erste Nacht auf dem Hügel, auf den Autositzen schlafend. Wahnsinnig bequem war das nicht, aber wir hatten auch keine großen Alternativen in dem Schlamm da draußen.
22
Ich schlief kaum, und das Gute daran war, dass ich beim ersten Lichtstrahl schon den Bauern sah, der auf einem Traktor durch das Tal karriolte. Ob er uns wirklich gesehen hatte, weiß ich nicht, aber ich weckte Tschick, der sofort den Wagen startete. Wir rutschten mehr rückwärts durch das Weizenfeld den Hügel runter, als dass wir fuhren, und dann ging’s zurück auf die Straße und ab.
Die Schokoladenkekse waren mittlerweile wieder essbar, und nachdem wir sie gefrühstückt hatten, versuchte Tschick, mir auf einer Wiese am Waldrand das Fahren beizubringen. Ich war zuerst nicht wahnsinnig wild drauf, aber Tschick meinte, es wäre albern, Autos zu klauen, wenn man nicht fahren könnte. Außerdem behauptete er, ich hätte bloß Angst, und das stimmte.
Tschick drehte eine Proberunde für mich, und ich achtete darauf, was er da eigentlich machte, welche Pedale er trat und wie er schaltete. Das hatte ich zwar schon oft bei meinen Eltern gesehen, aber ich hatte nie richtig hingeguckt. Ich wusste nicht mal genau, welches Pedal welches war.
«Links ist Kupplung. Die lässt du ganz langsam kommen und gibst auch Gas und – siehst du? Siehst du?»
Natürlich sah ich gar nichts. Kommen lassen? Gas geben? Tschick erklärte es mir.
Zum Starten legt man den ersten Gang ein. Dabei muss man die Kupplung treten und mit dem rechten Fuß ein bisschen aufs Gaspedal tippen und gleichzeitig die Kupplung loslassen. Das ist das Schwierigste, das Starten. Da brauchte ich zwanzig Anläufe, bis der Lada sich endlich mal in Bewegung gesetzt hatte, und dann war ich gleich so überrascht, dass ich beide Füße hochnahm – das Auto machte einen Satz, und der Motor ging aus.
«Einfach wieder auf die Kupplung, dann kannst du ihn nicht abwürgen. Auch beim Bremsen: Immer gleichzeitig die Kupplung, sonst würgst du ihn ab.»
Aber bis zum Bremsen dauerte es noch eine Weile. Das Bremspedal macht auch der rechte Fuß, und damit kam ich erst mal überhaupt nicht klar. Aus irgendeinem Grund wollten immer beide Füße auf die Bremse. Als ich es dann irgendwann hingekriegt hatte, dass der Wagen rollte,
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