Tschick (German Edition)
ich vorgeschlagen hatte, aber das war auch nicht besser. Man sollte meinen, wenn man immer abwechselnd rechts und links fährt, könnte man nicht im Kreis fahren, aber wir schafften es. Als wir zum dritten Mal an einem Wegweiser standen, wo es links nach Markgrafpieske und rechts nach Spreenhagen ging, kam Tschick auf die Idee, nur noch Orte anzusteuern, die mit M oder T anfingen. Aber davon gab es eindeutig zu wenig. Ich schlug vor, nur noch Orte mit einer Primzahl als Kilometerstand zu nehmen, aber bei Bad Freienwalde 51 km bogen wir gleich falsch ab, und als uns das auffiel (drei mal siebzehn), waren wir schon wieder sonst wo.
Endlich kam die Sonne durch. In einem Maisfeld gabelte sich der Weg. Nach schräg links ging es endlos auf Kopfsteinpflaster, nach rechts endlos auf Sand. Wir stritten, welcher Weg mehr nach Süden zeigte. Die Sonne stand nicht ganz in der Mitte. Es war kurz vor elf.
«Süden ist da», sagte Tschick.
«Da ist Osten.»
Wir stiegen aus und aßen ein paar Schokoladenkekse, die schon zur Hälfte geschmolzen waren. Die Insekten im Maisfeld machten einen ungeheuren Krach.
«Du weißt schon, dass man mit einer Uhr die Himmelsrichtung bestimmen kann?» Tschick nahm seine Uhr ab. Ein altes, russisches Modell, noch zum Aufziehen. Er hielt sie zwischen uns hin, aber ich wusste nicht, wie das gehen sollte, und er wusste es auch nicht. Man musste wohl irgendwie einen Zeiger auf die Sonne richten, und dann zeigte der andere nach Norden oder so. Aber um kurz vor elf zeigten beide Zeiger auf die Sonne, da war also schon mal eindeutig nicht Norden.
«Vielleicht zeigt er auch nach Süden», sagte Tschick.
«Und um halb zwölf ist Süden dann da?»
«Oder es ist wegen Sommerzeit. Im Sommer funktioniert es nicht. Ich dreh mal eine Stunde zurück.»
«Und was soll das ändern? In einer Stunde wandert der Zeiger einmal rum. Die Himmelsrichtung dreht sich doch nicht dauernd.»
«Aber wenn der Kompass sich dreht – vielleicht ist es ein Kreiselkompass.»
«Ein Kreiselkompass!»
«Hast du noch nie vom Kreiselkompass gehört?»
«Ein Kreiselkompass hat aber nichts mit Kreiseln zu tun. Der kreiselt nicht», sagte ich. «Der hat was mit Alkohol zu tun. Da ist Alkohol drin.»
«Du verarschst mich.»
«Das weiß ich aus einem Buch, wo die auf dem Schiff kentern, und dann bricht ein Matrose den Kompass auf, weil er Alkoholiker ist, woraufhin sie komplett die Orientierung verlieren.»
«Hört sich nicht gerade wie ein Fachbuch an.»
«Stimmt aber. Das Buch hieß, glaube ich, Der Seebär . Oder Der Seewolf .»
«Du meinst Steppenwolf. Da geht es auch um Drogen. So was liest mein Bruder.»
«Steppenwolf ist zufällig eine Band », sagte ich.
«Also, ich würde sagen, wenn wir nicht genau wissen, wo Süden ist, fahren wir einfach Sandpiste», sagte Tschick und band die Uhr wieder um. «Da ist weniger los.»
Und wie immer hatte er recht. Es war eine gute Entscheidung. Eine Stunde lang begegnete uns kein Auto mehr. Wir waren jetzt irgendwo, wo es nicht mal mehr Häuser am Horizont gab. Auf einem Feld lagen Kürbisse, so groß wie Medizinbälle.
21
Wind kam auf, der Wind legte sich wieder. Erneut verschwand die Sonne hinter dunklen Wolken, und zwei Regentropfen fielen auf die Windschutzscheibe. Die Tropfen waren so groß, dass fast die ganze Scheibe nass wurde. Tschick fuhr schneller, hohe Bäume bogen sich unter dem Wind, und plötzlich zerrte eine Böe unser Auto fast auf die andere Straßenseite. Tschick bog in einen holprigen Feldweg zwischen zwei Weizenfeldern ein. Das Klaviergeklimper wurde dramatisch, und nach einem Kilometer hörte der Weg mitten im Feld auf.
«Ich fahr doch jetzt nicht zurück», sagte Tschick und rumpelte, ohne zu bremsen, geradeaus. Die Halme prasselten auf das Blech und gegen die Türen. Tschick ließ den Wagen im Weizenfeld ausrollen, schaltete runter und gab Gas. Der Motor zog langsam an, und wie ein Schneepflug teilte die Kühlerhaube das Meer aus gelbem Weizen. Obwohl der Lada seltsame Geräusche machte, schaffte er den Acker fast mühelos. Nur die Orientierung war schwierig, man konnte nicht richtig über die Halme hinaussehen. Kein Horizont. Ein dritter Regentropfen fiel auf unsere Scheibe. Das Feld ging leicht bergauf. Wir fuhren kleine Kurven und Schnörkel und stießen auf eine Schneise, die wir eine Minute zuvor selbst gepflügt hatten. Ich schlug vor, Tschick sollte versuchen, unsere Namen in den Weizen zu schreiben, sodass man sie von einem Hubschrauber aus
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