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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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gurkte ich im ersten Gang auf der Wiese rum, und das war Wahnsinn. Der Lada machte, was ich wollte. Als ich schneller wurde, fing der Motor an zu heulen, und Tschick sagte, ich sollte mal drei Sekunden lang voll die Kupplung treten. Ich trat auf die Kupplung, und Tschick legte den zweiten Gang für mich ein. «Jetzt mehr Gas!», sagte er, und plötzlich schoss ich mit dreißig dahin. Glücklicherweise war die Wiese sehr groß. Ich übte ein paar Stunden. So lange brauchte ich, bis ich es schaffte, den Wagen selbst zu starten, in den dritten Gang hochzuschalten und wieder runterzuschalten, ohne ihn andauernd abzuwürgen. Ich war schweißgebadet, aber aufhören wollte ich auch nicht. Tschick lag auf der Luftmatratze am Waldrand und sonnte sich, und den ganzen Tag kamen nur zwei Spaziergänger vorbei, die keine Notiz von uns nahmen. Irgendwann machte ich eine Vollbremsung neben Tschick und fragte, wie das mit dem Kurzschließen eigentlich funktioniert. Weil, nachdem ich fahren konnte, wollte ich den Rest natürlich auch noch wissen.
    Tschick klappte die Sonnenbrille hoch, setzte sich auf den Fahrersitz und wühlte mit beiden Händen in den Kabeln rum: «Du musst das hier auf Dauerplus legen, die Fünfzehn auf die Dreißig. Da ist die dicke Klemme für. Und die muss dick sein. Damit ist die Zündanlage unter Spannung, und dann machst du die Fünfzig drauf, die führt zum Anlasserrelais – so. Das Steuerplus.»
    «Und das ist bei jedem Auto so?»
    «Ich kenn nur den hier. Aber mein Bruder meint, ja. Die Fünfzehn, die Dreißig und die Fünfzig.»
    «Und das war’s?»
    «Du musst noch das Lenkrad totmachen. Der Rest ist pillepalle. Hier mit dem Fuß gegen, und zack. Und die Benzinpumpe überbrücken natürlich.»
    Natürlich, die Benzinpumpe überbrücken. Ich sagte erst mal nichts mehr. In Physik hatten wir einiges über den elektrischen Strom gelernt. Dass es Plus und Minus gab und die Elektronen wie Wasser durch die Leitung rauschten und so weiter. Aber das hatte mit dem, was in unserem Lada vorging, offenbar nichts zu tun. Steuerplus, Dauerplus – das klang, als ob durch dieses Auto ein ganz anderer Strom floss als durch die Kabel im Physikunterricht, als wären wir in einer Parallelwelt gelandet. Dabei war wahrscheinlich der Physikunterricht die Parallelwelt. Denn dass es funktionierte, zeigte ja, dass Tschick recht hatte.

23
    Er steuerte zurück zur Straße. Nachdem wir in einem kleinen Dorf an einer Bäckerei vorbeigekommen waren, kriegten wir beide Kaffeedurst. Wir parkten den Wagen in einem Gebüsch hinter diesem Dorf und gingen zu Fuß zur Bäckerei zurück. Dort kauften wir Kaffee und belegte Brötchen, und als ich gerade in mein Brötchen beißen wollte, sagte jemand hinter mir: «Klingenberg, was machst du denn hier?»
    Lutz Heckel, die Tonne auf Stelzen, saß am Tisch hinter uns. Neben ihm eine große Tonne auf Stelzen und eine nicht ganz so große Tonne auf Säulen.
    «Und der Mongole ist auch da», sagte Heckel überrascht, aber auch in einem Ton, der wenig Zweifel daran ließ, was er von Mongolen im Allgemeinen und Tschick im Besonderen hielt.
    «Verwandtenbesuch», sagte ich und drehte mich schnell wieder um. Es schien mir nicht die Zeit für Diskussionen.
    «Ich wusste gar nicht, dass du Verwandte hier hast?»
    «Ich», sagte Tschick und prostete mit dem Kaffeebecher über den Tisch. «In Zwietow ist ein Kanakenauffanglager.» Ich konnte mich nicht erinnern, Heckel auf Tatjanas Party gesehen zu haben, aber als Nächstes fragte er, wie wir denn hier wären. Tschick erzählte ihm irgendwas von einer Fahrradtour.
    «Klasskamrahn von dir?», hörte ich die große Tonne fragen, und dann hörte ich lange nichts mehr. Irgendwann klimperten am Tisch hinter uns Autoschlüssel, an der Bank wurde gerückt, und Vater Heckel stelzte an uns vorbei in die Bäckerei. Er kam mit einem Armvoll belegter Brötchen wieder raus, packte vier davon auf unseren Tisch und rief: «Ma orndlich was auffe Bruss für unsre tüchgen Fahrafahra!» Dann klopfte er mit den Knöcheln aufs Holz, und die Tonnenfamilie spazierte über den Marktplatz davon.
    «Uh», sagte Tschick, und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Wir blieben noch lange vor dieser Bäckerei sitzen. Den Kaffee brauchten wir jetzt. Und die Brötchen auch.
    Alle halbe Stunde kurvte ein Reisebus mit Touristen über den Marktplatz. Irgendwo über dem Dorf gab es eine kleine Burg. Tschick saß mit dem Rücken zur Bushaltestelle, aber ich musste die ganze Zeit auf die

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