Tschick (German Edition)
Werk!», und öffnete die Tür. Er winkte mich zu sich.
Dann hantierte er wieder mit den Kabeln, startete den Wagen und versuchte auszuparken, wobei er die vor und hinter uns mit der Stoßstange anstupste. Ich saß zusammengekauert auf dem Beifahrersitz und untersuchte den Tennisball. Ein ganz normaler Tennisball mit einem fingerdicken Loch drin.
«Und das geht bei jedem Auto?»
«Nicht bei jedem. Aber Zentralverriegelung – und Unterdruck.» Er schrammte aus der Parklücke, und ich drückte und presste den Ball in meiner Hand und konnte es nicht fassen. Russen, dachte ich.
Zehn Minuten später luden wir den Lada voll. Unsere Garage hat direkten Zugang zum Haus, und wir schleppten alles dahin, was irgendwie sinnvoll schien. Zuerst einmal Brot, Knäckebrot und Brotaufstrich und so was und Konservendosen, weil wir dachten, dass wir ja vielleicht auch mal was essen würden. Dafür brauchten wir dann natürlich auch Teller und Messer und Löffel. Wir packten ein Drei-Mann-Zelt ein, Schlafsäcke und Isomatten. Die Isomatten zogen wir gleich wieder raus und ersetzten sie durch Luftmatratzen. Nach und nach wanderte das halbe Haus ins Auto, und dann fingen wir an, alles wieder rauszuschmeißen: Das meiste braucht man ja doch nicht. Es war ein großes Hin und Her. Wir stritten, ob man zum Beispiel Rollerblades brauchte oder nicht. Wenn uns mal das Benzin ausgehen würde, könnte einer damit zur Tankstelle, meinte Tschick, aber ich fand, da hätte man ja gleich das Klapprad einpacken können. Oder eine Fahrradtour machen. Ganz zum Schluss kamen wir noch auf die Idee, einen Kasten Wasser mitzunehmen, und das stellte sich am Ende als die beste Idee von allen raus. Oder die einzige überhaupt. Weil, alles andere war leider reiner Schwachsinn. Federballschläger, ein Riesenstapel Mangas, vier Paar Schuhe, der Werkzeugkoffer von meinem Vater, sechs Fertigpizzas. Was wir jedenfalls nicht mitnahmen, waren Handys. «Damit nicht jeder Schwanzlutscher uns orten kann», sagte Tschick.
Und auch keine CDs. Der Lada hatte zwar riesige Lautsprecher hinten, aber nur einen verfilzten Kassettenrekorder, der unters Handschuhfach geschraubt war. Wobei ich, ehrlich gesagt, ganz froh war, dass ich Beyoncé nicht auch noch im Auto hören musste. Und natürlich nahmen wir auch die zweihundert Euro mit und dann noch alles Geld, das ich hatte, obwohl mir nicht ganz klar war, was wir damit wollten. In meiner Vorstellung fuhren wir durch menschenleere Gegenden, praktisch Wüste. Ich hatte nicht ganz genau geguckt bei Wikipedia, wie es da Richtung Walachei aussah. Aber dass da unten viel los wäre, kam mir eher unwahrscheinlich vor.
20
Mein Arm hing aus dem Fenster, mein Kopf lag auf meinem Arm. Wir fuhren Tempo 30 zwischen Wiesen und Feldern hindurch, über denen langsam die Sonne aufging, irgendwo hinter Rahnsdorf, und es war das Schönste und Seltsamste, was ich je erlebt habe. Was daran seltsam war, ist schwer zu sagen, denn es war ja nur eine Autofahrt, und ich war schon oft Auto gefahren. Aber es ist eben ein Unterschied, ob man dabei neben Erwachsenen sitzt, die über Waschbeton und Angela Merkel reden, oder ob sie eben nicht da sitzen und niemand redet. Tschick hatte sich auf seiner Seite auch aus dem Fenster gehängt und steuerte den Wagen mit der rechten Hand eine kleine Anhöhe hinauf. Es war, als ob der Lada von alleine durch die Felder fuhr, es war ein ganz anderes Fahren, eine andere Welt. Alles war größer, die Farben satter, die Geräusche Dolby Surround, und ich hätte mich, ehrlich gesagt, nicht gewundert, wenn auf einmal Tony Soprano, ein Dinosaurier oder ein Raumschiff vor uns aufgetaucht wäre.
Wir waren auf dem direktesten Weg aus Berlin rausgefahren, den Frühverkehr hinter uns lassend, und steuerten durch die Vororte und über abgelegene Wege und einsame Landstraßen. Wobei sich als Erstes bemerkbar machte, dass wir keine Landkarte hatten. Nur einen Straßenplan von Berlin.
«Landkarten sind für Muschis», sagte Tschick, und da hatte er logisch recht. Aber wie man es bis in die Walachei schaffen sollte, wenn man nicht mal wusste, wo Rahnsdorf ist, deutete sich da als Problem schon mal an. Wir fuhren deshalb erst mal Richtung Süden. Die Walachei liegt nämlich in Rumänien, und Rumänien ist im Süden.
Das nächste Problem war, dass wir nicht wussten, wo Süden ist. Schon am Vormittag zogen schwere Gewitterwolken auf, und man sah keine Sonne mehr. Draußen waren mindestens vierzig Grad. Es war noch heißer und
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