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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Tatjana rüberguckte, die einen Bleistift im Mund hatte und ganz braun gebrannt war. Sie hörte Wagenbach zu, und es war ihr nicht anzusehen, ob sie jetzt stolze Besitzerin einer Bleistift-Beyoncé war oder ob sie die Zeichnung einfach zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen hatte. Tatjana war so schön an diesem Morgen, dass es mir schwerfiel, nicht dauernd zu ihr rüberzugucken. Aber mit eisernem Willen schaffte ich es.
    Ich versuchte gerade, mich wenigstens ein bisschen für die Geschäfte dieses Bismarck zu interessieren, als ich von Hans einen Zettel auf den Oberschenkel gelegt kriegte. Ich hielt ihn eine Weile in der Faust, weil Wagenbach in meine Richtung schaute, und als ich dann draufguckte, um festzustellen, an wen ich ihn weitergeben musste, stand Maik auf dem Zettel. Ich konnte mich nicht erinnern, in den letzten Jahren mal einen Zettel gekriegt zu haben. Außer so Zetteln, die jeder kriegte. Wo dann Nicht hochgucken, da sind Fußspuren an der Decke!, oder so ein Fünftklässlerscheiß drinstand.
    Ich wartete einen Moment, faltete den Zettel auseinander und las. Ich las ihn fünfmal hintereinander. Es war kein superkomplizierter Text, es waren sogar nur neun Worte, aber ich musste sie trotzdem fünfmal lesen, um sie zu verstehen. Da stand: Mein Gott, was ist denn mit dir passiert?!? Tatjana.
    Besonders das letzte Wort blockierte irgendwas in meinem Gehirn. Ich sah mich nicht um.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand verarschen wollte, war relativ groß. War früher mal sehr beliebt gewesen: Zettel mit falschem Absender, wo Ich liebe Dich oder irgendein Quark drinstand. Aber es war doch meistens leicht zu erkennen, wer der wahre Absender war, weil der einen heimlich beobachtete.
    Ich schaute in die Richtung, aus der der Zettel gekommen war und wo auch Tatjana saß. Niemand beobachtete mich. Auch Tatjana nicht. Ich las den Zettel zum sechsten Mal. Er war in Tatjanas Handschrift geschrieben, die kannte ich ganz genau. Das A mit dem runden Bogen, der Schnörkel im G – ich hätte das eins zu eins nachmachen können. Aber wenn ich es konnte, konnte es wahrscheinlich auch jeder andere. Und mal angenommen – nur mal angenommen –, der Zettel kam wirklich von ihr. Mal angenommen, das Mädchen, das mich nicht zu ihrer Party eingeladen hatte, wollte wissen, was mit mir passiert war.
    Allerhand. Was sollte ich darauf antworten? Vorausgesetzt, ich antwortete? Weil, es war ja ziemlich viel passiert, und ich hätte Hunderte Seiten vollschreiben müssen, um das alles zu erklären. Obwohl ich genau das natürlich am liebsten getan hätte. Wie wir rumgefahren waren, wie wir uns mit dem Lada überschlagen hatten, wie Horst Fricke auf uns geschossen hatte. Die Sache mit der Mondlandschaft, die Sache mit den Schweinen und hunderttausend andere Sachen. Und wie ich mir immer vorgestellt hatte, dass Tatjana uns dabei sehen könnte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass sie’s so genau auch wieder nicht wissen wollte. Dass das Ganze vermutlich eher so eine Art Höflichkeitsanfrage war, und ich überlegte noch eine Weile, und dann raffte ich mich endlich auf und schrieb: Ach, nichts Besonderes auf den Zettel und schickte ihn zurück.
    Ich guckte nicht hin, wie Tatjana ihn las, aber dreißig Sekunden später war der Zettel wieder da. Diesmal waren es nur sieben Worte: Jetzt sag schon! Es interessiert mich wirklich.
    Es interessierte sie wirklich. Für die nächste Antwort brauchte ich eine halbe Ewigkeit. Obwohl sie wieder nicht sehr ausführlich war. Insgeheim wollte ich natürlich immer noch meinen Roman loswerden, aber auf so einem Zettel ist ja auch nicht viel Platz, und ich gab mir wahnsinnig Mühe. Es war schon fast am Ende der Stunde, als ich zum zweiten Mal Tatjanas Namen auf den Zettel schrieb und ihn zu Hans rübergab. Hans schob ihn mit dem Ellenbogen zu Jasmin. Jasmin ließ ihn eine Weile neben sich liegen, als würde er sie nichts angehen, und schnipste ihn dann zu Anja. Anja warf ihn über den Gang auf Olafs Tisch, und Olaf, der dumm war wie ein Haufen Wäsche, schmiss den Zettel über Andrés Schulter nach vorn, als Wagenbach sich gerade umdrehte.
    «Oh!», sagte Wagenbach und hob den Zettel auf. André machte nicht den geringsten Versuch, ihn zu verteidigen.
    «Geheime Botschaften!», rief Wagenbach und hielt den Zettel hoch, und die Klasse lachte. Sie lachten, weil sie wussten, was jetzt kam, und ich wusste es auch. In diesem Moment wünschte ich mir, ich hätte Horst Frickes Gewehr

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