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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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beschleunigten, als sie auf die Beiertheimer Allee fuhren.
    Plötzlich und ohne Vorankündigung krachte ein fingerdickes, schwarzes Stromkabel mit einem lauten Knall quer gegen den gepanzerten Windschutz und verkantete sich darin. Diese zwischen zwei Laternenmasten gespannte Trosse riss nun schlagartig von einem der Pfähle ab und wickelte sich, wie von Harrison geplant, um das Halbkettenfahrzeug. Das ausgefranste Ende mit den blanken Drähten schlug mit einem irren Tempo um sich, verfehlte die Windschutzscheibe des Dodge nur um Haaresbreite und fegte dann eine zufällig gerade entgegenkommende Radfahrerin mit all ihren Taschen klatschend vom Fahrrad. Wenig später lag sie auf dem Boden und schrie und heulte wie am Spieß. Die offenen Kabellitzen hatten ihr das ganze Gesicht zerschnitten. Der Vorfall hatte nicht einmal drei Sekunden gedauert.
    Kurz darauf leistete Jimmy Piece der wimmernden Alten Erste Hilfe, indem er ihr den Kopf verband und ihr mehrere schmerzstillende Sulfadiazin-Tabletten verabreichte. Edwards und Roebuck standen zusammen auf der Straße und begutachteten missmutig das Stromkabel und die noch an dem Mast hängenden Reste.
    »Das war mit Sicherheit Harrison«, kommentierte der Offizier die Konstruktion. »Er versucht es immer wieder.«
    »Aber wieso spannt er ausgerechnet ein Kabel über die Straße? Er weiß doch, dass wir gepanzerte Fahrzeuge haben.«
    Edwards nickte und zog an seiner Zigarette. »Er hat keine Waffe. Und wie der Zufall es wollte, hat er uns scheinbar hier stehen sehen. Also versucht er alles, was möglich ist. Sie sehen doch an der Frau, was so ein herumwirbelndes Kabel für einen Effekt hat. Er will Zeit gewinnen und sich in die französische Zone südlich von Karlsruhe absetzen. Zumindest war er heute so erfolgreich, dass wir aufgehalten wurden. Wir müssen wirklich besser aufpassen. Er kann uns überall auflauern.«
    Ein Passant, Private Piece und der Franzose hatten der noch immer heulenden Frau aufgeholfen und fuhren sie mit dem Dodge zum Rathaus, wo sie mit weiterer Hilfe rechnen konnte. Dann, über eine Stunde später, konnten sie endlich ihre Fahrt fortsetzen und auf die Reichsstraße {33} in Richtung Hauptbahnhof abbiegen. Sie passierten den überfüllten Albtalbahnhof, wo Hunderte Menschen in mehreren Schlangen auf eine Hamsterfahrt nach Ettlingen und ins Albtal warteten. Die Fahrt mit dem Dampfzug dorthin war für viele Karlsruher überlebenswichtig, da sie nur dort die so dringend benötigten Lebensmittel bekommen konnten.
    Auch auf der Reichsstraße lagen zahlreiche Häuser in Schutt und Asche, hohle Fassaden oder komplett fehlende Gebäude zeugten von den Luftangriffen der vergangenen Kriegsjahre. Die Straße war gesäumt von verschieden hohen Schuttbergen, die auf einen Abtransport warteten. Einige ältere Leute stiegen darauf herum und suchten nach nützlichen Dingen und nach brauchbaren Ziegelsteinen.
    Kurz bevor die Amerikaner den Vorplatz des Hauptbahnhofs erreichten, mussten sie eine Kontrolle der französischen Militärpolizei über sich ergehen lassen. Die unfreundlichen Franzosen machten sich sofort daran, die Fahrzeuge zu durchsuchen. Um Ärger im Vorfeld zu vermeiden, stiegen der Franzose Pierre und Christine einige Meter zuvor aus und begaben sich in die umstehende Menschentraube, die sich um die Amerikaner gebildet hatte. Der Korse hatte sich vorher noch unbemerkt Letchus’ Dienstpistole aus dessen Uniform geholt. Die Franzosen durchsuchten alle Fahrzeuge mit vorgehaltener Waffe, von den beiden Mitreisenden hatten sie glücklicherweise nichts mitbekommen.
    Relativ schnell bekamen sie die Erlaubnis weiterzufahren, wurden von den Marokkanern aber weiter beobachtet. Während der Kontrolle hatte sich Christine ganz nach vorn zu Edwards auf der Beifahrerseite der M3 durchgedrängelt. Sie zwinkerte den Offizier an und sagte dann auf Deutsch: »Haben Sie Tschoklet, Mister? Tschuinggamm? Bitte?«
    Edwards fiel vor Schreck die glühende Zigarette aus dem Mund, die ihm ein Brandloch in die Hose machte. Dann fegte er die heiße Glut mit einer wütenden Bewegung von seiner Bekleidung und sah Christine ärgerlich an. Diese lächelte ihn mit einem unschuldigen Grinsen an und hielt wieder die Hand vor ihm auf.
    »Tschoklet?«
    Von allen Seiten kamen plötzlich Kinder- und Erwachsenenhände und warteten auf eine Spende von dem Offizier. Manche griffen ihm sogar an die Uniform oder befühlten seine Brusttasche mit den Zigaretten darin. Nach kurzer Zeit riss sich

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