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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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verstohlene Blicke, ob nicht doch irgendwo ein Franzose war. Der Schwarzmarkt blühte.
    Nach etwa zehn Minuten hielt im Bereich der Arkaden ein großer Pferdewagen auf dem Vorplatz. Die beiden Alten neben ihm standen auf, packten ihr Hab und Gut zusammen und liefen zu der Kutsche. Der Mann lüftete zum Abschied noch freundlich seinen Hut und lächelte Harrison an, dann half er seiner Frau auf den Wagen. Es sollte das letzte Mal sein, dass jemand ihn anlächelte.
    Corporal Roebuck war nach dem Gespräch noch eine ganze Weile an der Mauer sitzen geblieben und starrte gedankenverloren in den Himmel. Vickers hatte die anderen geweckt und dann, unglaublicherweise, zum ersten Mal für alle Kaffee gekocht und Corned Beef angebraten. Captain Edwards konnte es immer noch nicht glauben und untersuchte seinen Kaffee minutenlang misstrauisch nach Fettaugen oder Geschmack von Motoröl, doch er fand nichts.
    Nach der technischen Überprüfung der Halbkette und des Dodge hatte sich Vickers daran gemacht, sich unter Verwendung des linken Außenspiegels nach ein paar Tagen endlich mal wieder zu rasieren und einen Brief an seine Eltern zu schreiben. Ohne eine Träne zu vergießen und eine einzige Zigarette zu rauchen, schrieb er:
     
    Liebe Mom, lieber Dad,
    2 Jahre ist es jetzt her, dass ich Euch das letzte Mal geschrieben habe. 1 Jahr ist es jetzt her, seit ich in der Normandie an Land gegangen bin. Wir haben dort gleich begonnen, alle über den Kanal kommenden Waren zu organisieren. So ein großes Lager könnt Ihr Euch nicht vorstellen! Dad, wir haben allein in den ersten Tagen für die Invasion 700.000 Kanister mit Benzin gefüllt. 5 Footballfelder nur Kanister! Kannst Du Dir vorstellen, dass auf dem Weg nach Paris und in den Ardennen alle 10 Meilen ein Tanklager mit 3.000 Kanistern stand? Kurz vor Namur in Belgien haben wir 5 brandneue Königstiger der Wehrmacht gefunden. Die Deutschen hatten nicht mal mehr Dynamit, um sie zu sprengen. Wir haben sie alle einkassiert, abtransportiert oder umlackiert. Das war Wahnsinn, ein deutscher 12-Zylinder-Maybach-Motor und über 60 Tonnen Stahl. Ich durfte einen fahren und wir haben mit dem deutschen Panzer auf die flüchtenden Nazis geschossen! Als wir in Köln über den Rhein gingen, haben wir dort 200.000 deutsche Kriegsgefangene in einem riesigen Lager täglich mit Essen versorgen müssen. In Koblenz bin ich in eine andere Einheit gekommen und wir haben nur noch Soldaten transportiert. In Worms hat mich ein Offizier sozusagen ›abgeworben‹ für eine Scout-Einheit. Dort bin ich heute noch. Ich fahre eine White’s M3 Halbkette und bin inzwischen die rechte Hand des Offiziers. Wir sind wirklich ein verrückter Haufen! Leider ist da so ein Spinner, der auf uns schießt und uns Fallen stellt. Wir haben schon ein paar Mann verloren. Gestern ist ein deutscher Bekannter und Helfer beim Organisieren von Ersatzteilen angeschossen worden und in meinen Armen gestorben. Ich hatte ihn gerne gemocht. Es war furchtbar! Er ist einfach verblutet. Obwohl der Krieg vorbei ist, habe ich plötzlich Angst, selber draufzugehen.
    Mom, bevor ich es vergesse: Die Wälder und Berge hier sehen fast so aus wie bei Tante Clara in Philadelphia.
    Ich hoffe, dass nicht mein ganzer Brief zensiert wird.
    Grüße auch an Bob und Jeremy in der Werkstatt! Ich habe hier einen super Traktor repariert! Das hätte Euch auch gefallen. Schickt mir mal bitte eine Zeitung mit den Gator-Ergebnissen.
    Mom und Dad, ich vermisse Euch sehr.
    In Liebe aus Germany
    Euer Joey
     
    Für die letzten drei Zeilen hatte er zwar fast zehn Minuten gebraucht, war mit dem Ergebnis aber sehr zufrieden. Gerade als er das Papier zusammenfaltete, gab Edwards den Befehl zur Abfahrt und öffnete die Beifahrertür des Halbkettenfahrzeugs.
    »Hier sind Sie, Joey! Was haben Sie denn die ganze Zeit hier gemacht?«
    »Ich habe einen Brief an meine Eltern geschrieben. War längst überfällig.«
    »Geht es Ihnen wieder besser?«
    »Ja, Sir, ich hoffe es. Ich hatte ein Gespräch mit Tony Roebuck. Ich glaube, das musste mal sein.«
    »Wenn’s geholfen hat, ist es gut. Wir hatten uns schon Sorgen gemacht.«
    »Tatsächlich?«
    »Natürlich, Joey. Sie sind doch mein bester Mann! Und jetzt fahren wir zum Hauptbahnhof. Geben Sie Gas!«
    Joey lächelte. So eine positive Aussage hatte er von Edwards gar nicht erwartet. Jetzt war er um so besser gelaunt.
    Die beiden Fahrzeuge rangierten vorsichtig rückwärts aus der Sackgasse der Schwarzwaldstraße heraus und

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