Tschoklet
Wagen, wenn welche da sind. Over.«
»Scout Zwei, wir haben hier einen Deutschen, der hier angeblich mal gearbeitet hat. Er sagt, der Bahnhof steht seit der Einstellung des Zugverkehrs komplett voller Personenwaggons. Ein Teil des Daches sei aber eingestürzt. Etwa ab Gleis acht. Over.«
»Verstanden, Scout Eins. Wir machen die Augen auf. Over und aus.«
Roebuck sah van Bouren an und schüttelte mit dem Kopf.
»Wieso haben wir das verdammte Funkgerät nicht schon früher gefunden? Das hätte uns in Neulußheim viel Ärger erspart.«
Van Bouren zuckte mit den Schultern. Wieder antwortete er im breiten New Yorker Slang: »So isses halt. Kannste nichts machen. Wäre Edwards in Mannheim nicht in der Schule gewesen, dann … dann wärt ihr über die Autobahn gefahrn und nicht durch alle Orte. Na und? Du hättest dein Mädchen nie kennengelernt! Wenn, wenn …«
Die beiden rannten die breite Treppe zu Gleis sieben und acht empor und warfen dann einen Blick über die auf den Gleisen stehenden Personenwagen. Diese waren nach mehreren Monaten Standzeit inzwischen stark verstaubt und mit Taubenkot überzogen. Das gewölbte Glasdach in östlicher Fahrtrichtung von ihnen war tatsächlich auf einer Fläche von mehreren Hundert Quadratfuß eingestürzt, die gusseisernen Träger standen bizarr in alle Richtungen. Überall auf den Bahnsteigen lagen Glasscherben und deformierte Eisenteile. Dazwischen konnte man noch Reste von Wartebänken und einer Uhr sowie ein grünes Werbeschild mit der Aufschrift ›VIVIL‹ erkennen. Hier war kein Durchkommen mehr. In westlicher Fahrtrichtung, in einiger Entfernung außerhalb der Bahnsteige, liefen gerade mehrere schwer bewaffnete Männer über die verwaisten Gleise.
Wenn Harrison auch über die Gleise will, dachte Roebuck, dann nur Richtung Osten.
Wäre Roebuck nur den Bahnsteig hinuntergelaufen und hätte die Gepäckwagenrampe ins Visier genommen, wäre für Chuck Harrison die Flucht zu Ende gewesen. Aber Roebuck drehte sich wieder um und rannte die Treppe runter, um zurück zum Gleis vier zu laufen. Die überall herumstehenden Lokomotiven und Personenwagen waren ihm hier oben im Weg.
Sekunden, nachdem die beiden Amerikaner die Treppe nach unten gelaufen waren, erschienen hundertfünfzig Meter weiter der Deserteur und Christine im Sonnenschein der Rampe. Chuck sah sich neugierig in verschiedene Richtungen um, erkannte im entfernten Dunst die mit dem Rücken zu ihm stehenden Franzosen und schlich am Geländer entlang zum erstbesten Personenwagen. Von unten, auf dem Schotter stehend, riss er die Doppeltür des Wagens auf und schubste Christine gegen den Waggon.
»Los, einsteigen!«
»Aber das ist mir zu hoch!«
Chuck zückte das Messer aus seinem Gürtel und schlitzte wütend Christines Rock von oben nach unten auf. Nur knapp verfehlte er mit der gezackten Klinge ihren Oberschenkel.
»Einsteigen!«, zischte er.
Das Mädchen schürfte sich beide Knie blutig, als es auf die scharfkantigen Metallgitter des Trittbretts kletterte. Mit letzter Kraft zog sie sich in den muffig riechenden Eisenbahnwagen hinein. Keuchend blieb sie auf dem Holzboden liegen und weinte wieder. Vor ihren Augen lagen Unrat, Papierfetzen, Patronenhülsen und eine zerrissene Strohmatratze. Mitten im Gang häuften sich mehrere stark zerkratzte Zugschilder mit schwarzer Beschriftung: Pforzheim, Mühlacker, Stuttgart Hbf, Neustadt/ Weinstraße.
Hinter ihr zog sich der Mann mit einem zur Grimasse verzerrten Gesicht in den Wagen und trat die am Boden liegende Christine.
»Steh auf! Los! Wir müssen weiter! Schlafen kannst du woanders!«
Immer wieder trat er ihr gegen die Oberschenkel, bis sie sich an einem an der Zugtür angebrachten Mülleimer mit der Aufschrift ›REICHSBAHN‹ hochzog. Schließlich stolperte sie durch die Wagen der dritten Klasse nach hinten. Zwischen den Wagen, wo die fettglänzenden Puffer unter ihr standen, weil die Verbindungsbretter fehlten, verschnaufte sie kurz, doch Harrison trieb sie brutal weiter. So überwanden die beiden einen Waggon nach dem anderen, nur wenige Meter an dem ratlosen Roebuck und van Bouren vorbei.
Doch auch der endlos erscheinende Zug war irgendwann zu Ende. Christine fiel mit einem Aufschrei auf die schmutzigen Schwellen, sie hatte das Fehlen des nächsten Waggons überhaupt nicht mehr bemerkt. Glücklicherweise waren die Gleise bereits stark von Unkraut bewachsen, dass der Sturz zwar hart, aber nicht mit Verletzungen ausging.
Die Zeit, welche der Verletzte
Weitere Kostenlose Bücher