Tschoklet
Metallplatten unter dem Schiebewagen befand. Keuchend und blass blieb sie liegen, ihr halb aufgeschlitztes Kleid war noch oben gerutscht und gab den Blick auf zwei gebräunte, schlanke Beine frei, doch das bemerkte Harrison glücklicherweise nicht. Nach kurzer Zeit war sie, noch immer heftig zitternd, eingeschlafen. Überall auf ihrem Gesicht und ihrer Kleidung waren getrocknetes Blut und rostiger Schmutz. Ihre rechte Gesichtshälfte befand sich nahezu komplett in der öligen Pfütze, was sie nicht zu stören schien.
Vickers raste mit dem Dodge den staubigen Langenbruchweg entlang, der später in den Rußweg und dann in die Maybachstraße überging, bis das halb zerstörte Ausbesserungswerk der Reichsbahn vor ihnen in Sicht kam. Per Funk wurden sie von den Franzosen informiert, dass die beiden Zielpersonen das Werk betreten hatten und innerhalb des ersten Gebäudes verschwunden waren. Der Kreis wurde enger gezogen. Dummerweise war das Werk nicht mal ansatzweise auf den Karten vorhanden. Die Luftbildaufnahmen von Roebuck waren ausgerechnet an dieser Stelle von schlechter Qualität oder die Anlage von Wolken verdeckt. Zumindest war die Anlage so groß, dass sie ein eigenes, momentan aber stillgelegtes Elektrizitätswerk besaß.
Kurz bevor sie das Gelände erreichten, trafen sie auf die restlichen Scouts mit der M3 Halbkette, die im Schatten von ein paar ausladenden Eichen geparkt war. Die Männer fuhren langsam an den Gärten von zwei Bedienstetenhäusern entlang, wo gerade drei Kinder unter den Obstbäumen spielten. Die zwei Mädchen und der Junge schauten die Soldaten überrascht an, als Vickers auf Weisung des Offiziers anhielt, um nach dem Weg zu fragen.
»Guten Tag. Seid ihr Franzosen?«, fragte eines der Mädchen forsch.
»Hallo, ich heiße John und das dahinten sind meine Freunde Joey, Tony und Amos. Wir sind Amerikaner und suchen jemanden, der sich in der Fabrik da hinter euch auskennt.«
»Das ist keine Fabrik.«
»Nein? Aber eine Fabrik hat doch einen hohen Kamin, so wie der da drüben?«
»Es ist aber trotzdem keine Fabrik. Es ist das Ausbesserungswerk. Mein Vater arbeitet dort als Maschinenbau-Ingenieur.« Das große Mädchen grinste frech.
»Ist euer Vater zu Hause?«
»Nein.«
»Wo ist er denn?«
»Er ist nach Karlsruhe gefahren.«
»Wann kommt er wieder zurück?«
»Weiß ich nicht. Wollen Sie in das Ausbesserungswerk hinein?«
»Ja. So schnell wie möglich. Es ist etwas ganz Schlimmes passiert.«
»Wir können Ihnen den Weg zeigen«, mischte sich der kleine Junge ein und sprang von dem untersten Ast auf den Boden.
Der Offizier schaute die beiden überrascht an. »Ihr kennt den Weg?«
»Na klar! Unser Papa hat uns schon ein paar Mal mitgenommen.« Der Junge fixierte den Soldaten. »Ich weiß, wo alles steht.«
»Sagt mal, wie heißt ihr denn?«, wollte Edwards wissen.
»Ich heiße Werner und bin elf. Das ist meine große Schwester Gisela und das ist Margot. Sie ist erst sieben.« Er deutete erst auf die schief grinsende Schwarzhaarige, dann auf das blonde, kleine Mädchen. Die drei waren gut erzogen, fand Edwards. Er griff in seine Hosentasche und zog drei kleine Tafeln Hershey’s Schokolade heraus.
»Möchtet ihr Schokolade?«
Das große Mädchen strahlte, griff blitzartig zu und ließ die drei in Silberpapier verpackten Klötze in der Brusttasche ihrer Latzhose verschwinden. Die beiden Geschwister schauten sie nur neidisch an.
Edwards lachte. »Möchte deine Puppe auch Schokolade?«
»Au ja!« Das blonde Mädchen blickte den Soldaten verlegen an, zog die Puppe aus dem Wagen und drückte sie fest an sich. Edwards legte die Schokolade vorsichtig in den Puppenwagen und zwinkerte der Kleinen zu.
Nachdem der Offizier sich den Zugang zum Reichsbahnausbesserungswerk erkauft hatte, gingen die zwei älteren Kinder, Gisela und Werner, voran. Roebuck kam von hinten aus dem Dodge gelaufen und schloss sich kichernd der kleinen Prozession an. Im Vorbeigehen streichelte er der kleinen Margot mit den blonden, schulterlangen Haaren über den Kopf. Seine Thompson hielt er so, dass die Kinder sie nicht sofort bemerkten.
Sie liefen auf das Tor zu, welches sich mittig zu den beiden Bedienstetengebäuden befand. Direkt neben dem mit einer Kette verschlossenen Tor war eine windschief in den Angeln hängende verrostete Tür mit einem stark abgenutzten Schlüsselloch. Der kleine Werner packte den vergitterten Stahlrohrrahmen, hob ihn etwas an und stieß das Knie dagegen. Wie von Geisterhand sprang das
Weitere Kostenlose Bücher