TTB 117: Lichter des Grauens
vorsichtig Worte, die auch in einem verkleinerten Wortschatz vorhanden sein mußten und ahnte nicht einmal, wie nahe sie der Wahrheit kam. »Sie sind aus dem Schiff geholt worden. Ich werde Ihren Vorgesetzten benachrichtigen – aber das dauert vermutlich lange. Bis dahin können Sie hierbleiben. Fragen Sie, wenn Sie etwas nicht wissen. Ich werde alles tun, um den Vorgesetzten zu erreichen.
Wir haben genügend Essen und alles andere hier. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Leider ist es einsam; viele Meilen im Umkreis gibt es niemanden. Ich werde erst in einem Monat abgeholt. Haben Sie das verstanden?«
Noguera nickte und begann zu weinen. »Nein«, sagte er schluchzend und: »Du bist nicht Nannie.«
Anjanet war nahe daran, einen hysterischen Anfall zu bekommen. Gewaltsam zwang sie sich, ruhig zu bleiben. Schließlich konnte man von einer Lehrerin die Lösung dieses Problems am ehesten erwarten. Sie stand auf und begann langsam zu rauchen. Der Mann beobachtete sie wie ein gefangenes Tier. Er verfolgte jede Bewegung mit den großen Augen. Es wurde schnell dunkel. Anjanet drückte einen Kontakt nieder. Hauchfeine Energiegitter zum Schutz gegen Insekten senkten sich über die großen Fenster. Licht flammte auf.
Das Problem ist tatsächlich größer, dachte sie, als ich annahm. Die Piloten scheinen ausgesprochen hilflos zu sein, wenn sie nicht in ihrem Schiff hocken, mit Mechanismen vollgestopft. Ich muß sehen, daß ich so schnell wie möglich einen Imperiumsboten oder eine Dienststelle erreichen kann. Sie entsann sich der Warnungen und Verbote auf der Außenfläche der Kugel. Sie waren berechtigt.
»Haben Sie Hunger?« fragte sie zögernd.
Der Pilot nickte heftig und erwiderte: »Ja, Hunger. Ja.«
Anjanet warf ihre Zigarette durch den Energievorhang; es flimmerte, und der verkohlte Rest fiel draußen in den Sand. Dann drehte sie an den Schaltern des kleinen Ofens und rückte Töpfe darauf.
»Ich mache uns etwas zu essen«, versprach die Frau. Noguera nickte stumm. Eine halbe Stunde später standen auf der Tischplatte Teller und Becher, Bestecke lagen daneben. »Kommen Sie«, sagte Anjanet und setzte sich. Noguera stand behutsam auf, drehte sich einmal um und ließ sich schwer auf den Stuhl fallen. Während sie aßen, beobachtete die Frau jede Bewegung des Piloten, als könne sie durch mehr Fakten das Rätsel schneller klären. Der Mann saß kerzengerade im Stuhl und handhabte das Besteck nicht ungeschickt, aber langsam – als wären die Bewegungen das Ergebnis von zwanzig Jahren Training.
»Schmeckt es Ihnen?« fragte Anjanet unvermittelt. Erschrocken ließ Noguera die Gabel fallen und verzog das Gesicht, als wolle er zu weinen beginnen. Er bückte sich und hob die Gabel wieder auf.
»Essen ist gut«, sagte er dumpf und undeutlich.
Der Mann wurde Anjanet immer rätselhafter. Auf der einen Seite zeigte er in den Bewegungen die Selbstsicherheit eines erwachsenen Mannes, auf der anderen war er in manchen Dingen unbeholfener als ein Kind. Es fehlte an der Koordination. Dazu kam, daß sich Anjanet scheute, in die braunen Augen zu sehen. Sie fühlte, daß der Blick lähmend wirkte. Dazu kam als zweiter Faktor die Wirkung Nogueras als Mann; sie war fast durchdringend. Anjanet war achtundzwanzig und alles andere als ein unerfahrenes Mädchen. Sie kannte die Gefahren, die entstanden, wenn zwei Menschen in absoluter Einsamkeit dicht nebeneinander zu leben gezwungen wurden. Sie bemühte sich, keine Nervosität zu zeigen, die sie jedesmal bei diesen Gedanken überfiel; Anjanet war zutiefst beunruhigt.
Sie sah, daß die Becher und Teller leer waren und räumte das Geschirr ab.
»Haben Sie noch Hunger oder Durst, Mister Noguera?« fragte sie und lehnte sich zurück, um sich eine Zigarette anzuzünden. Das Feuerzeug lag in der Mitte des Tisches; der Mann machte keine Bewegung, ihr Feuer zu geben. Sie zuckte unmerklich mit den Schultern und entzündete die Zigarette.
»Satt – danke, Nannie«, sagte Noguera und sah sie starr an.
»Sind Sie müde?« fragte sie.
»Ich möchte schlafen«, antwortete er. Der Dialog, den sie führten, erinnerte Anjanet an absurde Theaterstücke oder an die Konversation von Irrenhauspatienten; sie nickte.
»Hören Sie zu«, begann sie. »Erstens sollen Sie mich nicht immer Nannie nennen – ich heiße Anjanet. Zweitens werde ich dich jetzt duzen, weil es offensichtlich für dich keinen Unterschied gibt. Drittens kannst du hier schlafen; ich werde im Schlafsack drüben im Klassenzimmer
Weitere Kostenlose Bücher