TTB 119: Computer der Unsterblichkeit
zurückgekommen war. Er wagte es nicht, die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Kellerwohnung zu lenken, wo Bossy versteckt war.
Die Gerüchte wurden immer wilder und haarsträubender. Mable war nicht nackt gewesen. Die Wahrheit war, daß man Mable in einem wallenden weißen Gewand gesehen hatte. Mable hatte große, weißschimmernde Flügel gehabt. Tausende von Leuten hatten gesehen, wie sie vom Rathaus zur Oper und zum Kriegerdenkmal geflogen war. Es gab eine Menge Fotografien davon. Der Grund, daß sie von den Zeitungen nicht gedruckt wurden, war, daß sie Befehle von oben hatten.
Es fiel den Leuten aus der Howard Street nicht schwer, den Gerüchten Glauben zu schenken. Jedermann erinnerte sich an irgendeine gute Tat oder einen Freundschaftsdienst, die Mable ihm erwiesen hatte. Ein freies Essen hier, eine Flasche Wein oder ein paar Dollar dort, und dann die Geschichte, als sie der alten Annie bei der Ladendiebstahlaffäre ihren eigenen Anwalt geschickt hatte. Sie hatten schon immer gewußt, daß sie ein Engel war.
Sie hängten sich wie die Kletten an Carney, mit jedem neuen Gerücht kamen sie zu ihm gestürzt. Zuerst hatte er seinen unverhofften Ruhm genossen und sich im Gefühl seiner Wichtigkeit gesonnt. Dann, als die Gerüchte immer unwahrscheinlicher wurden, bekam er es mehr und mehr mit der Angst. Der dringende Wunsch, mit den Professoren zu sprechen und herauszubringen, was wirklich geschehen war, nagte wie ein Krebsgeschwür in seinem Innern. Aber er konnte seine neuen Freunde nicht abschütteln.
Und dann die Fremden. Den ganzen Vormittag waren Neugierige von der anderen Seite der Market Street herübergeströmt. Sie wanderten durch die Straßen und starrten die Häuser an, von denen man sagte, daß sie diese schrecklichen alten Vettel gehörten, die auf einmal schön und jung geworden war. Sie verdrängten die alteingesessenen Bewohner des Viertels von den Gehsteigen und rümpften die Nasen über den Schmutz und die Gerüche des Elends.
Auch sie hatten ihre Gerüchte. Sie sagten, Mable sei der Kopf des größten Rauschgiftrings der Welt. Sie sei an großen Schiffahrtsgesellschaften beteiligt und verschickte ganze Schiffsladungen junger, unschuldiger Mädchen ins Ausland, wo sie in Bordellen untergebracht würden. Sie sei eine russische Spionin. Die ganze Sache sei nur ein Trick, um mehr Leute für einen Spionagering zu keilen. Wer wußte schon, was hinter dem Eisernen Vorhang geschah? Hatten die Zeitungen nicht einmal geschrieben, man habe dort ein Huhn hundert Jahre am Leben erhalten?
Ein aufgeweckter junger Mann wußte sogar einen Namen.
»Pawlow«, sagte er. »Und es war ein Hühnerherz.«
Das Gerücht verbreitete sich mit Windeseile. Den Russen war es gelungen, alle Arten von Tieren hundert Jahre am Leben zu erhalten. Warum also nicht auch Menschen? Man bedrängte den jungen Mann um zusätzliche Einzelheiten. Unversehens in die Rolle einer Autorität versetzt, rang er seinem Geist weitere Informationen ab.
»Spemann und Schölte«, sagte er, »gelang es, Muskelgewebe aus einem Salamanderschwanz zu verpflanzen und daraus einen neuen Kopf wachsen zu lassen.«
Was war ein Salamander? Nun, eine Art Eidechse. Eidechsen gab es seit Millionen Jahren auf der Erde. Vierzig Millionen Jahre lang hatten Reptilien die Erde beherrscht.
Was diese Feststellungen mit Mables Fall zu schaffen hatten, sagte er nicht. Wie viele gescheite junge Männer, die sich nur für kurze Sekunden der allgemeinen Aufmerksamkeit erfreuen, bevor das Scheinwerferlicht weiterschwenkt, salbaderte er aufs Geratewohl, um seine Zuhörer mit der Überlegenheit seines Geistes zu beeindrucken.
Seine Auslassungen wurden von Mund zu Mund weitergegeben und verzerrt. Die Wissenschaftler hatten Eidechsen, die schon seit vierzig Millionen Jahren am Leben waren. Das Geheimnis von Mables Verwandlung war Eidechsenblut. Spemanowitsch und Scholtekoff hatten das richtige Rezept gefunden.
Man nehme Eidechsenblut und …
Anfangs wurden die Rezepte freigebig weitergesagt. Dann begann man sie zu verkaufen. Die Preise stiegen höher und höher, je mehr die Nachfrage wuchs.
Stets in der Nähe der Kellertreppe, immer noch hoffend, er könne dem Schwarm der Neugierigen entwischen, sah Carney, wie Joe wieder herauskam, nachdem er eine Stunde bei Hoskins und Billings verbracht hatte. Bevor er Joe ein Zeichen geben konnte, tauchte der Junge in der Menge unter. Es war schon Mittag, und Carney hatte noch immer keine glaubwürdige Nachricht über Mable
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