Tu dir weh
menschlichen Wesen dort versammeln. Selbst ein paar grobe Prolls mit dicken goldenen Halsketten und pomadigen Bürstenfrisuren sind da. Sie spucken permanent auf den Boden und krakeelen in ihrem Dialekt. Einer von ihnen kommt auf Stella zu und fragt sie, ob sie Italienerin sei.
Kokser.
Und dann gibt es noch ein paar normale Leute, die nur wegen der Musik gekommen sind. Alle sind da. Es fehlen nur die Nerds, die natürlich das Konzert von zu Hause aus im Livestream verfolgen.
Loser.
Sie spürt das Handy in der Hose vibrieren. Ihr Unterleib zieht sich zusammen.
Marco?
Ganz und gar nicht, es ist der Checker. Sie stehen rechts neben der Bühne, in der Nähe der Bar. Stella seufzt erleichtert, aber die Krämpfe in ihrem Unterleib sind noch nicht vorüber.
Komm, lass uns das Opium nehmen, dann löst sich endlich diese Anspannung.
Der Checker kommt auf Stella zu, mit einem Lächeln aus zweiunddreißig leuchtenden Zähnen, einer Zigarette zwischen den Lippen und seinem üblichen Cowboyschritt. Er richtet seinen Texasgürtel und nimmt den Hut ab.
»Hi, Blondie.«
»Na endlich! Weshalb die Riesenverspätung? Musstest du den ganzen Tag Autogramme geben?«
Der Checker ist auf allen Partys berühmt für die Sache mit den Autogrammen: Seitdem ein Mädchen das Gerücht in Umlauf gebracht hat, er sei der König der Partys, lauern ihm überall Hordenhysterischer Mädchen auf, um ein Autogramm von ihm zu ergattern. Einmal haben Engelchen und er sich ein idiotisches Youtube-Video reingezogen, und zwar: Wie man sich zu Techno bewegt. Danach sind sie total überdreht auf die Party gegangen und haben angefangen, mitten auf einem Rave im Elvis-Stil zu tanzen. Ein paar böse Geister haben angefangen, ihre Schritte nachzuäffen – die Hände zum Himmel, die Hände zu den Knien, den Fuß nach vorn, den Fuß nach hinten –, und seitdem gelten die beiden in der Partyszene als legendär. Engelchens Ruhm hat allerdings nicht lange angehalten, während der Checker der einzige und unangefochtene König der Technopartys geblieben ist. An einem Abend kam ein Mädchen, ganz Zebralook und Titten, auf ihn zu und fragte:
»Gibst du mir ein Autogramm?«
Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, hat er geantwortet: »Ich hab’ keinen Stift dabei.«
Als das Mädchen dann einen schwarzen Kuli aus der Jackentasche holte, schob er seine Sonnenbrille etwas herab und fragte: »Wo möchtest du es hinhaben?«
Das Mädchen knöpfte sich die Jacke auf und zog ihr Shirt hoch, und so kam es, dass er ihr seinen Namen auf eine Brust schrieb.
Der Checker umarmt Stella und macht ein süßes Gesicht, nach dem Motto: Entschuldige, wenn ich dich vergessen habe.
Kein Problem, ich verzeihe dir sofort, schenke dir mein Opium und werde sogar nachts vorbeikommen, um dich zuzudecken.
Giulia taucht auf, eine kleine Metallerin mit kurzen braunen Haaren, einer Intellektuellenbrille, schmalen Lippen und feinen Gesichtszügen. Sie bricht in hysterisches Gelächter aus. Stella geht auf sie zu, unsicher, ob sie sie auf die Lippen oder die Wange küssen soll. Seit dem Fest ihres ersten Kusses haben sie sich die ganzeWoche lang Nachrichten geschickt, aber nicht noch einmal getroffen. Stella lächelt, sie wartet, dass die andere entscheidet. Giulia sieht sie an, mustert sie. »Du bist so schön«, sagt sie.
Ja, du auch, wunderschön. Wo ist Marco?
Stella kommt ihr so nah, dass sie die Wärme von Giulias Wangen fühlt. Giulia gibt ihr einen Kuss irgendwo zwischen Mund und Wange. Der Freund vom Checker, der wegen seiner blonden Locken und weiblichen Züge Engelchen heißt, begrüßt sie flüchtig. Er ist wegen einer alten Geschichte noch sauer auf sie. Er hat ihr den Hof gemacht, und ihr gefiel es ganz gut, doch eines Abends hat Stella dann seinen besten Freund und schlimmsten Feind geküsst: den Checker. Genau vor seinen Augen. Zwischen ihr und dem Checker läuft nichts, sie sind sich zu ähnlich, beide zu sehr Primadonna. Sie sind gut befreundet und machen ab und zu miteinander rum, um bei Festen für etwas Aufsehen zu sorgen.
Die einzige der Rotulloclique, mit der sie nicht irgendein Techtelmechtel hatte, ist Tina. Und deshalb gibt es mit ihr auch kein Problem, kein unangenehmes Gefühl bei der Begrüßung: Sie tauschen zwei ganz normale Wangenküsse aus.
»Habt ihr gesehen, wie viele Leute hier sind?«, sagt Stella und schaut sich weiter nach Marco um. »Verdammt viele.«
»Ja und? Was willst du dagegen tun? Zu viele Menschen, alle durchmischt«, sagt Tina
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