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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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den Rezepten der größten Köche.
    Morgen habe ich eine besondere Überraschung für sie! Morgen gibt es nur einen einzigen Gang. Pastinakengemüse mit Dinkelknödeln. Nach dem Originalrezept der heiligen Hildegard von Bingen.
    Neunhundert Jahre alte Kochkunst. Ob sie sich dafür wohl begeistern lassen?
    Also, auf den Markt heute. Pastinaken suchen und eine dunkelrote Rose kaufen.
    Ich stehe länger unter der Dusche als sonst. Ich lasse das heiße Wasser auf meinen Körper prasseln. Meine Haut ist immer noch braun von der Sonne des Sommers. Makellos glatt und weich. Es ist ein schönes Gefühl, über meinen Bauch zu streichen, über die Arme, die Beine ... Ich halte den Atem an. Nein! Nein, Zeno! Aufpassen!
    Jetzt kaltes Wasser, das holt mich aus dem Gefahrenbereich.
    Danach eine Schale Cornflakes mit Milch, und ich stürze mich mit den Hausfrauen auf den Marktplatz.
    Unten im Hausflur treffe ich die neuen Mieter. Das Kind heute mit gelben Gummistiefeln. Die beiden Männer mit Lei nenbeuteln. Die Frau sehe ich nicht.
    « Hallo!», sagen sie. Und lächeln.
    Mehr sagen sie nicht. Schade eigentlich. Ich finde sie nett.
    Aber sie haben es eilig. Der eine setzt sich jetzt das Kind auf die Schultern. Dann verlassen sie zusammen das Haus.
    Mich ruft der Postkasten.
    Seit Tagen klopft mein Herz, wenn ich die Post hole. Nein, nicht ihretwegen. Ihre Briefe fürchte ich zurzeit nicht. Was ich fürchte, ist die Telefonrechnung.
    Die nächtliche Nabelschnur ist teuer. Die kann ich mir über haupt nicht leisten. Das sagt Laura mir jedes Mal, wenn ich sie anrufe. Und jedes Mal droht sie, den Hörer aufzu le gen, weil sie mich vor den unangenehmen Folgen bewahren will.
    «Zeno, hast du eine Ahnung, was das kostet?»
    Nein, ich hab keine Ahnung.
    Ich will keine Ahnung haben. Ich will nur nicht allein sein.
    An die Rechnung hab ich nicht gedacht. Will ich nicht denken.
    Die Qual des Alleinseins war größer als die Angst vor der Rechnung.
    Mir zittern die Hände. Ich weiß, heute ist sie dabei. Der Preis für die verdammte Lindenblattstelle.
    Und ich weiß auch, er wird unbezahlbar sein für mich. Mit fünfzig Mark Taschengeld im Monat!
    Warum hab ich bloß nicht eher daran gedacht? Ich Idiot!
    Er wird mich umbringen! Soll er ruhig! Das w ä r mir sogar recht! Dieses Leben krieg ich sowieso nicht hin. Ich habe noch nicht mal den Mut, mich umzubringen!
    Ich reiße den Umschlag auf, lese die Zahlen. Muss mich an die Wand lehnen. Sonst kippe ich um. Zweitausend neun hun dertfünfundsechzig! Ich zerreiße die Rechnung und werfe die Schnipsel in die Mülltonne. Was hab ich mit dieser Telefonrechnung zu tun? Nichts! Absolut nichts! Er kann gar nicht wissen, dass ich es gewesen bin. Schließlich steht ja ständig in der Zeitung, dass die Telekom falsche Telefon rech nun gen verschickt. Ich jedenfalls weiß von keinem Dauer gespräch.
    Trotzdem ist meine Stimmung im Keller. Trotz der Pastinaken, die ich bei einem Biobauern finde. Und trotz der dunkelroten Rose. Was könnte mich heute trösten? Laura jedenfalls nicht. Da muss ich vorsichtig sein. Mein Wundermittel? Der «Gelöschte Wein»? Er wird mehrmals täglich empfohlen, daran werde ich mich halten.
    Mein Vater kommt erst am Abend. Wenn überhaupt. Ich habe Zeit.
    Hildegards Medizin wirkt sofort. Der «Gelöschte Wein» benebelt mein Hirn. Lässt die Telefonrechnung endgültig in der Versenkung verschwinden. Ich habe kein einziges Mal telefoniert. Mit wem denn auch? Mit Laura doch nicht! Ich telefoniere doch nicht mit Amerika! Nein! Das muss ein Berechnungsfehler sein! Auf diese Teletypen ist eben kein Ver lass!
    Nochmal runter in den Keller, Vorräte überprüfen. Die Rotweinflaschen für meine heilige Medizin zählen.
    Da seh ich sie! Zwischen Koffern und Kisten, ausrangierten Fahrrädern und Schlittschuhen liegt die alte Schaufenster puppe. Keine Ahnung, warum ich plötzlich so unruhig werde. Ich weiß nur, dass ich mir jetzt diese fleischfarbenen Einzelteile unter den Arm klemmen muss. Ich schleppe sie in mein Zimmer und baue sie zusammen. Dann steht sie vor mir. Nackt, schlank, ungefähr so groß wie ich. Ich durchwühle Lauras Kleiderschrank und verfluche ihren Geschmack. Laura besitzt kein einziges Kleid. Nur diesen einsamen schwarzen Rock. Dazu ein enges schwarzes T-Shirt. Ärmellos. Ketten um den Hals. Rote Farbe für die Lippen aus Lauras Schminkkasten.
    Jetzt spür ich ihn wieder. Diesen Wunsch, der zum Zwang wird. Wie damals.
    Nein, Zeno! Nicht jedes Mal gelingt es mir, die

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