Tuchfuehlung
steht ein Sektkübel.
Seltsam.
«Gibt es was zu feiern?»
Irgendwie werde ich sauer. Irgendeine diffuse Wut steigt in mir hoch. Keine Ahnung, warum.
«Möchtest du ein Glas?»
«Nein, ich trinke und rauche nicht!»
Vor ihr liegt eine Packung Marlboro.
Eine Antwort auf meine Frage bekomme ich an diesem Abend nicht.
Ihr Interesse an mir ist nicht sehr ausdauernd.
Sie verkrallen ihre Hände ineinander. Reden von Ibiza.
«Wann fliegt ihr los ?», frage ich, damit sie merken, dass es mich noch gibt.
«Wir haben an Weihnachten gedacht!», sagt mein Vater.
Und was wird aus mir? Soll ich etwa allein in der Mozartstraße unter dem Baum sitzen und «Oh du fröhliche ... » sin gen?
Aber ich krieg kein Wort raus. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, fang ich an zu heulen.
« Du solltest endlich mal zu deiner Mutter fahren, Zeno!», sagt er. «Weihnachten zum Beispiel!»
Er küsst Beate Minnerup auf den Hals.
Ruhig bleiben, Zeno! Immer wieder muss ich mir das sagen. Sonst schlag ich gleich den ganzen Laden zusammen und meinen Vater mit seiner Kontaktlinsenberaterin dazu.
Er will mich loswerden. Ganz einfach loswerden. So ist das also.
«Eine wunderbare Lösung!», sage ich und lächle sie an.
Dann bestell ich mir das teuerste Gericht, das ich auf der Speisekarte finde. Frischen Lachs.
Ich lasse sie in Ruhe.
Sie lassen mich sowieso in Ruhe.
Als ich nach einer Stunde das «Bella» verlassen will, fordern sie mich auf, noch ein wenig zu bleiben.
«Ach, übrigens!», sagt mein Vater.
Ich habe schon die Türklinke in der Hand. Da kommt er hinterher.
«Ich bring Beate nachher nach Hause. Es kann später werden. Mach dir keine Sorgen!»
Ich weiß genau, was das heißt.
Er wird unsere Wohnung in dieser Nacht gar nicht betreten.
Zu Hause hämmer ich mir den härtesten Techno-Sound in mein Hirn. Aber der rettet mich heute auch nicht. Ich wähle Evas Nummer. Sie ist noch unterwegs. Wer kann mich jetzt noch retten?
Wie spät ist es in New York?
Egal. Ich muss sie anrufen.
Kein Hahnenschrei! Kein Wecker heute!
Der Samstagmorgen ist irgendwann einfach da. Ich könnte weiterschlafen. Es ist erst neun. Aber mich hält nichts mehr im Bett. Es gibt keine Laura, mit der ich reden könnte, die mir was vorliest, die mir den Rücken massiert. Ich bin froh, dass die Nacht vorbei ist. Froh, dass die Gespenster nicht gekommen sind. Aber sie lauern.
Ich schlafe schlecht. Werde wach von meinen Träumen. Aber seit einer Woche habe ich ein Hausmittel. Ganz zufällig entdeckt, als ich mein Referat für Biologie angefangen habe. «Die Ernährungstherapie der heiligen Hildegard.» Mein Spe zialbereich:« Die Bedeutung der Dinkel-Diät für die Gesunderhaltung des menschlichen Körpers.» Beim Blättern bin ich auf die Kapitel über Heilkunde gestoßen. Gegen Unruhe, Schlaf losigkeit, Melancholie, Angst und Trauer empfiehlt Hildegard von Bingen «Gelöschten Wein». Ein Glas Wein zum Sieden erhitzen, mit einem Likörglas kalten Wassers löschen.
Ich hab ’ s ausprobiert. Und es hat gewirkt. Keine Angstattacken, keine Schweißausbrüche, keine wilden Träume.
Der Samstagmorgen war immer das Schönste von der gan zen Woche. Zu Lauras Zeiten. Meistens sind wir um neun aufgestanden. Mein Vater war dann schon weg. Laura hat Bröt chen geholt, und wir haben lange gefrühstückt. Mit Eiern, Orangensaft, Schinken und Käse. Die Samstage waren cornf l akes- und müslifrei.
Dann sind wir auf den Markt gegangen und haben einge kauft. Körbeweise Obst und Gemüse. Vorrat für die ganze Woche. Ich konnte nie genug kriegen von diesem Angebot an frischen Farben und Gerüchen. Überwältigend. Kein Vergleich zu dem, was in unserem Supermarkt schlapp vor sich hinwelkte. Zum Abschluss haben wir uns Rosen gekauft. Dunkelrote, langstielige Rosen. Eine für Laura, eine für mich. Jeden Samstag.
Seit Laura weg ist, bin ich nicht mehr auf dem Markt gewesen. Seit Laura weg ist, hab ich keine Rose mehr gekauft. Heute hätte ich gerne eine ...
Gemüse zu kaufen, lohnt nicht mehr. Die alte Küchenord nung hat sich aufgelöst. Mein Vater und Frau Minnerup haben festgestellt, dass Kochen nicht zu den Leidenschaften ihres Lebens gehört. Zeitverschwendung eigentlich. Dann lassen sie sich doch lieber verwöhnen, setzen sich in ihrem Lieblingsrestaurant an den gedeckten Tisch. Gemeinsame Mahlzeiten gibt es höchstens einmal in der Woche. Meistens am Sonntag. Da lassen sie sich von mir bekochen. Am liebsten sind ihnen Fünf-Gänge-Menüs nach
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