Tuchfuehlung
schätzen! Bring deinen Schlafsack mit!»
«Ich hab keinen!», sage ich.
Mir wird unheimlich.
«Macht nichts!», sagt sie. «Dann wärm ich dich eben, wenn du frierst!»
Mein Gott!
Trotzdem. Ich muss es ausprobieren. Ich kann mich hier nicht eingraben und mich erst wieder ausbuddeln, wenn Laura zurückkommt.
Egal, was heute passiert! Und was kann schon passieren? Ich werde mir meine Medizin reinziehen. Und die wird mich schützen.
Ich setze mich mit Skizzenblock und Kohlestift an meinen Schreibtisch, betrachte die schlanke Blonde aus Plastik und bekleide sie mit meinen Strichen. Montag mach ich einen Ausflug in die Stoffabteilung von Karstadt.
Was bekomme ich für fünfzig Mark? Samt und Seide wahr scheinlich nicht.
Ein Blatt nach dem anderen fülle ich mit Kleidern für die Plastikfrau. Wie besessen hülle ich sie ein. Schlichte, gerade Formen, schmal und schlank. Dann macht sich mein Kohlestift selbständig, verliert sich in großartigen Spielereien mit Rüschen, Bändern und Schleifen — und gibt erst auf, als das letzte Blatt des Skizzenblocks voll ist. Wer soll den Schwachsinn anziehen, Zeno Zimmermann? Blatt für Blatt löse ich vom Block, zerreiße alles in hunderttausend Einzelteile und werfe die Schnipsel in den Müll.
20 Uhr! Ich koch mir meinen Wundertrunk, fühle mich seltsam ruhig. Im Kopf angenehme Wattewolken, mein Herz schlägt gleichmäßig, meine Hände zittern nicht.
Ich nehme den Bus. Der ist fast leer. Außer mir nur noch eine Türkin mit zwei kleinen Kindern. Ich schließe die Augen. Wenn ich jetzt nicht aufpasse, dann fängt mich der Schlaf, und ich wache im Busdepot wieder auf.
Noch fühl ich mich gut. Meine innere Ruhe verlässt mich nicht. Auch dann noch nicht, als ich in den Waldweg einbiege und die Techno-Bässe aus dem Haus Nr. 7 höre. Mich wundert, dass noch kein Polizeiwagen zu sehen ist. Aber vielleicht sind inzwischen all die Leute mit den empfindlichen Ohren weggezogen. Mein Vater zum Beispiel. Der gehört auch zu denen, die schon bei der harmlosesten Grillparty die Polizei anrufen.
Evas Eltern sind heute wohl ausgeflogen. Das kleine Haus quillt fast über. Überall begegne ich Leuten, die ich noch nie gesehen habe. Erst in der Küche treffe ich auf bekannte Gesichter. Die drei Killer und vier andere Tätowierte aus mei ner Klasse. Und Lisa und Ellen. Sie sitzen auf der Küchen bank und sehen so aus, als wären sie auf der falschen Veran staltung.
Die Killer begrüßen mich wie einen alten Freund.
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.
«Wo ist Eva?»
«Die ist im Arbeitszimmer und plant die Revolution!»
«Ich denk, das ist eine Fete!»
«Fete schon! Aber eben eine ganz besondere. Eine Revolutionsfete eben.»
«Versteh ich nicht!»
«Wir auch nicht! Aber all die anderen, die sich zurzeit hier aufhalten. Das sind alles Revolutionäre!»
Ich kapier zwar nichts, aber das ist wohl auch egal. Wahrscheinlich bloß wieder mal einer von diesen Sprüchen, die ich nicht begreife.
Alex öffnet die Schränke, den Kühlschrank.
«Gehn wir zu dir, Zeno? Revolutionäre brauchen anschei nend nichts zu essen. Guck dir diese Leere an. Das ist kein Kühlschrank. Das ist ‘ ne Notunterkunft für politisch verfolg te Magerjoghurts. Mensch, ich hab Hunger!»
«Revolutionäre ernähren sich vom Glauben an die Weltrevolution !», sagt Jannik.
«Aber ich bin kein Revolutionär. Ich hab einfach bloß Hun ger. Am liebsten wären mir jetzt Pommes rot-weiß! Komm Zeno, lass uns zu dir gehen. In deiner Kühltruhe lagert be stimmt noch was Nettes für unseren Mägen!»
Unter der Küchenbank entdecke ich einen einsamen Kartoffelsack.
«Ich kann euch ja was kochen!», sage ich schnell, bevor sie wieder die Küche in der Mozartstraße überfallen.
«Ich wüsste nicht, was!», sagt Tom und zieht sich schon seine Lederjacke an.
«Was viel Besseres als Pommes», sage ich schnell. «Ich mach euch Blechkartoffeln. Kartoffelscheiben aufs Backblech, 20 Minuten in den Ofen. Fertig!»
Ich reiße den Kartoffelsack auf, bevor sie mich in die Mozartstraße schleppen.
Alex rollt mit den Augen. Ich hab Glück. Diesmal noch hab ich Glück.
«Du bist der Größte, Zeno, echt! Wenn du eine Frau wärst, dann würd ich dich jetzt küssen und vom Fleck weg heira ten. Aber du bist ja ein Mann, oder?»
Für einen Moment runzelt er die Stirn.
«Und keine schwule Sau, oder?»
Wie gut, dass ich jetzt das Messer in der Hand halte, wie gut, dass ich es jetzt in das gelbe Fleisch der Kartoffel
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