Tür ins Dunkel
endlich gezwungen sein würde, sich Rechenschaft über sein damaliges Handeln zu geben. Mit leiser, gepreßter Stimme sagte der Captain: »Verdammt, ich habe Cindy Lakey nicht umgebracht!«
»Aber du hast es geschehen lassen, obwohl du es hättest verhindern können.«
»Ich bin nicht Gott«, widersprach Mondale erbittert. »Du bist ein Polizist. Du trägst eine Verantwortung.«
»Du selbstzufriedener Dreckskerl!«
»Du hast einen Eid abgelegt, Menschen zu schützen.«
»Na und? Die verdammten Menschen vergießen keine einzige Träne um einen toten Bullen.« Mondale sprach noch immer mit leiser Stimme, damit von dieser peinlichen Unterredung nichts in den angrenzenden Laden drang. »Es ist außerdem deine Pflicht, einem Kollegen beizustehen, ihn nicht in der Scheiße sitzenzulassen.«
»Du redest daher wie ein unausgegorener Pfadfinder«, entgegnete Mondale höhnisch. »Esprit de corps. Einer für alle, und alle für einen. Blödsinn! Wenn es hart auf hart geht, ist jedem die eigene Haut am nächsten, das weißt du genausogut wie ich!« Dan bedauerte bereits, Cindy Lakey erwähnt zu haben. Seine Erregung machte tiefer Müdigkeit Platz. Er hatte Mondale zwingen wollen, sich nach all diesen Jahren Rechenschaft abzulegen, aber es war viel zu spät. Es war immer zu spät gewesen. Mondale war nie ein Mann gewesen, der Schwächen oder Fehler eingestehen konnte. Er kaschierte sie geschickt - oder er schob anderen die Schuld zu. Er hatte eine fleckenlos saubere Weste, und sie würde vermutlich immer fleckenlos bleiben, nicht nur in den Augen der meisten anderen Menschen, sondern auch in seinen eigenen. Er konnte seine Fehler und Schwächen nicht einmal vor sich selbst eingestehen. Er kannte keine Selbstvorwürfe, keine Schuldgefühle. Auch jetzt war ihr deutlich anzusehen, daß er sich nicht im geringsten verantwortlich fühlte für das, was Cindy Lakey zugestoßen war, daß keine Gewissensbisse an ihm nagten. Er wurde on einer einzigen Emotion beherrscht - unbändigem laß auf Dan.
»Wenn jemand für den Tod jenes Mädchens verantwortlich war, so war das seine eigene Mutter«, sagte Mondale.
Dan hatte keine Lust, dieses Gespräch fortzusetzen. Er fühlte sich hundert Jahre alt. »Mach der Mutter des Mädchens Vorwürfe, nicht mir!« fuhr Mondale fort. Dan schwieg. »Schließlich war es die Mutter, die sich mit Felix Dunbar -ingelassen hat.« Dan starrte den Captain wie ein fremdartiges Wesen on einem anderen Stern an. »Willst du behaupten, Fran _akey hätte wissen müssen, wie labil Dunbar war?«
»Ja, verflucht nochmal!«
»Alle, die ihn kannten, hielten ihn für einen netten Kerl.«
»Ein netter Kerl, der mit einer Pistole Amok läuft!«
»Er besaß ein eigenes Geschäft. Er war gut gekleidet. war nicht vorbestraft. Er war ein regelmäßiger Kirchgänger. Ein solider Bürger.«
»Solide Bürger jagen anderen keine Kugeln in den Kopf. Fran Lakey hatte sich mit einem Versager eingelassen, mit einem Wirrkopf. Ich habe später gehört, daß sie mit vielen Männern Verabredungen hatte, und daß die meisten davon Versager waren. Sie brachte das Leben ihrer Tochter in Gefahr, nicht ich.« Dan betrachtete ihn jetzt wie irgendein besonders abstoßendes Insekt, das über den festlich gedeckten Tisch kriecht. »Fran Lakey war keine Hellseherin. Woher hätte sie wissen sollen, daß ihr Freund durchdrehen würde, nachdem sie mit ihm gebrochen hatte? Woher hätte sie wissen sollen, daß er mit einer Pistole anrücken würde, nur weil sie nicht mit ihm ins Kino gehen wollte? Wenn sie in die Zukunft hätte sehen können, wäre sie so berühmt gewesen wie Jeanne Dixon.« Er beugte sich über den Schreibtisch und fuhr mit noch leiserer Stimme fort: »Wenn sie in die Zukunft hätte sehen können, hätte sie auch gewußt, daß es ihr nichts nützen würde, an jenem Abend die Polizei zu Hilfe zu rufen. Sie hätte gewußt, daß du einer ihrer Freunde und Retter sein würdest, und sie hätte gewußt, daß du die Hosen gestrichen voll haben würdest, und...«
»Ich hatte keine Angst«, protestierte Mondale. Er machte einen Schritt auf den Schreibtisch zu, aber es war keine sehr wirkungsvolle Drohgebärde. »Etwas kommt...«
Earl beobachtete fasziniert das Radio.
Laura starrte auf die Tür, die zum Garten hinter dem Haus führte. Sie war verschlossen. Die Fenster ebenfalls. Die Vorhänge waren zugezogen.
Wenn tatsächlich etwas kommen würde -woher würde es dann kommen? Und was würde es sein, um Gottes willen, was würde es
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