Tür ins Dunkel
des Lakey-Mädchens nach all diesen Jahren noch immer schwer auf seiner Seele lastete, daß er noch immer unter Schuldgefühlen litt. Und wenn er jetzt endlich mit ROSS über diese Geschichte sprach, würde er vielleicht einen Schlüssel finden, die schweren Ketten seiner Schuldgefühle lösen und abwerfen zu können. Das Radio war wieder zu voller Lautstärke aufgedreht, und jedes Wort explodierte wie eine Kanonenkugel. »...Blut...«
».. .kommt...«
»... wegrennen...«
Laura wollte, daß Melanie sich erhob, daß sie fluchtbereit war, falls das Etwas auftauchen würde. Noch eindringlicher als beim erstenmal sagte sie deshalb: »Liebling, steh auf, komm, steh auf!« Aus dem Radio dröhnte es: ».. .verstecken...«
»... es...«
»... kommt...«
Die Lautstärke steigerte sich weiter.
»... es...«
Donnernd, ohrenbetäubend: »...frei...« Earl legte seine Hand auf den Lautstärkeregler.
Earl riß seine Hand zurück, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen; er blickte Laura an, und sie sah Entsetzen in seinem Gesicht. Er wischte seine Hand am Hemd ab, rieb sie am Hemd, und Laura begriff, daß es kein elektrischer Schlag gewesen war, sondern daß er etwas Unheimliches gespürt hatte, als er den Regler berührte, etwas Abstoßendes, Widerwärtiges.
Das Radio brüllte:
»... Tod...« Mondales Haß war ein riesiger dunkler Sumpf, in den er sich zurückziehen konnte, als die unangenehme Wahrheit über Cindy Lakeys Tod ihm bedrohlich nahekam und ihn einzuholen drohte. Er flüchtete sich immer tiefer in diesen verzehrenden Haß und versteckte sich dort zwischen den Nattern und Ottern, zwischen dem Unrat seiner Seele.
Er starrte Dan weiterhin über den Schreibtisch hinweg drohend an, aber es bestand keine Gefahr, daß sein Haß ihn zu Tätlichkeiten hinreißen würde. Er würde nicht zuschlagen. Er wollte seinen Haß nicht abreagieren. Ganz im Gegenteil, er nährte diesen Haß, weil er ihm half, sich vor der Verantwortung zu drücken. Sein Haß war ein Schleier zwischen ihm und der Wahrheit, und je dichter dieser Schleier war, desto besser für ihn.
Dan wußte genau, daß Mondales Gehirn mit solchen Tricks arbeitete. Dan kannte ihn gut; vielleicht zu gut. Aber obwohl ROSS vor der Wahrheit zu fliehen versuchte, war an den Tatsachen nun einmal nicht zu rütteln: Felix Dunbar hatte auf Dan geschossen und ihn verletzt und Mondale hatte solche Angst gehabt, daß er das Feuer nicht erwidert hatte. Tatsache war ferner, da Dunbar ins Haus eingedrungen war, Fran Lakey mit der Pistole niedergeschlagen und die achtjährige Cindy mit drei Schüssen in den Kopf getötet hatte, während ROSS Mondale Gott weiß wo gewesen war und Gott weiß was gemacht hatte. Tatsache war auch, daß Dan trotz seiner stark blutenden Wunde seine Pistole gezückt hatte, zum Haus der Lakeys gekrochen war und Felix Dunbar getötet hatte, bevor dieser auch noch Fran Lakey erschießen konnte. Und während dieser ganzen Zeit hatte ROSS Mondale im Gebüsch gekotzt oder seine Blase geleert oder flach auf dem Rasen hinter dem Haus gelegen und versucht, mit der Landschaft zu verschmelzen. Er hatte sich erst wieder blicken lassen, als alles vorüber war, und er war schweißnaß und aschfahl gewesen. An Scaldones Schreibtisch sitzend, sagte Dan: »Wenn du mir bei diesem Fall nicht völlig freie Hand läßt, werde ich die ganze Wahrheit über Cindy Lakeys Tod jedem erzählen, der sie hören will, und das wird dann das Ende deiner glänzenden Karriere sein.« Mit einer Blasiertheit, die ihresgleichen suchte, erklärte Mondale: »Wenn du die Geschichte jemandem hättest erzählen wollen, hättest du das schon vor Jahren getan.«
»Das muß ein tröstlicher Gedanke sein«, sagte Dan, »nur ist er leider falsch. Ich habe dich damals gedeckt, weil du mein Kollege warst, und weil ich dachte, jeder hätte das Recht, einmal totale Scheiße zu bauen. Aber ich habe meine damalige Entscheidung seit Jahren bitter bereut. Und wenn du mir einen guten Vorwand lieferst, würde ich mit Freuden auspacken.«
»Diese Geschichte liegt sehr lange zurück«, meinte Mondale. »Und du glaubst, daß niemand sich für Pflichtvergessenheit und Feigheit im Dienst interessiert, nur weil sich die Sache vor dreizehn Jahren ereignet hat?«
»Kein Mensch wird dir glauben. Alle werden denken, du seist nur neidisch auf mich -der Fuchs und die Trauben, weißt du? Ich bin vorangekommen, habe Freundschaften geschlossen. Aber du... du bist von jeher ein Einzelgänger gewesen. Ein
Weitere Kostenlose Bücher