Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
»Befreiung« Jerusalems. Für Alexios I. war das ein vergiftetes Geschenk, denn Jerusalem gehörte zu der Zeit nominell noch zum Byzantinischen Reich, wenn es auch seit etlichen Jahren vom Kalifen von Damaskus besetzt war. Die Kreuzzüge, die erste Expansion Westeuropas in den Nahen Osten seit den römischen Eroberungen, wurden letztlich nicht den islamischen Herrschern, gegen die sie ja angeblich gerichtet waren, zum Verhängnis, sondern Byzanz selbst. So wie der Aufstieg von Byzanz um 300 den Untergang Roms markierte, waren die Kreuzzüge das Zeichen für das Widererstarken Roms und den langsamen Abstieg Konstantinopels. Das manifestierte sich beim 4 . Kreuzzug endgültig, der 1204 mit der Eroberung und Plünderung Konstantinopels endete und zu einer knapp 100 -jährigen lateinischen Herrschaft am Bosporus führte. Zwar gelang es den Byzantinern, ihre Hauptstadt wieder zurückzuerobern, doch erlangte Ostrom seine frühere Stärke nie mehr zurück. So ebneten paradoxer Weise nicht zuletzt die Kreuzzüge den Türken den Weg nach Westen.
Das Osmanische Reich
Die Osmanen kontrollierten nach dem Zerfall des seldschukischen Großreiches anfangs nur ein relativ unbedeutendes Fürstentum im Nordwesten Anatoliens, also direkt an Byzanz angrenzend. Unter ihrem Stammesoberhaupt Osman gelang es ihnen jedoch um 1300 , die Stadt Bursa von den Byzantinern zu erobern und dort ihre Hauptstadt zu errichten. Nachfolger expandierten mit großem Erfolg weiter, indem sie entweder byzantinische Truppen besiegten oder aber durch geschickte Heiratspolitik mit der byzantinischen Herrscherfamilie ihren Einflussbereich ausdehnten, so dass das Osmanische Reich Anfang des 14 . Jahrhunderts schon Teile des Balkans umfasste und Byzanz mehr und mehr zu einer Insel inmitten osmanischer Gebiete wurde. Es war deshalb nur mehr eine Frage der Zeit, bis Konstantinopel fallen würde. Der junge Sultan Mehmet II . setzte nach mehreren halbherzigen Versuchen seiner Vorgänger dann alles an die Eroberung der Metropole und erstürmte das sogenannte Ostrom nach längerer Belagerung im Mai 1453 . Dies war, nach der Schlacht von Malazgirt rund 400 Jahre zuvor, die endgültige Etablierung der Türken als europäische Macht. Es gibt etliche Hinweise darauf, dass Mehmet der Eroberer weniger Byzanz von der Landkarte tilgen als vielmehr Nachfolger der byzantinischen Kaiser werden wollte. Anders als andere Eroberer nahmen die Osmanen viel von den »Rum«, den griechischen Römern, an. Mehmet warb auch um die griechische Bevölkerung, garantierte ihnen ihre Religionsfreiheit und setzte den Bischof zum Patriarchen der griechisch-orthodoxen Gemeinde ein. Zwar wurden die meisten Kirchen, so auch die Hagia Sophia, in Moscheen umgewandelt, doch die Griechen behielten einige Gotteshäuser und konnten sich unter ihrem Patriarchen autonom organisieren.
Viele Griechen spielten in den Jahrhunderten des osmanischen Reiches eine wichtige Rolle im diplomatischen Dienst des Sultans, und viele ehemaligen Christen, oder Kinder aus christlichen Familien vom Balkan, brachten es im Reich zu höchsten Würdenträgern. Grundlage dafür war die sogenannte Knabenlese, bei der die Statthalter in den Balkanprovinzen Kinder aus christlichen Familien entweder zwangsweise rekrutierten oder aber die Familien ein Kind freiwillig in den Dienst des Sultans gaben, weil viele von ihnen dann entweder als Janitscharen, Angehörige der Elitetruppe der Osmanen, oder als Würdenträger am Hof Karriere machen konnten. Zwar war der Islam Staatsreligion, doch zeigten sich die Osmanen in Religionsfragen wesentlich toleranter als die christlichen Mächte der damaligen Zeit. Bereits unter Beyazit, dem Nachfolger Mehmets II ., kam es zu regem diplomatischen Kontakt mit verschiedenen westeuropäischen Mächten, darunter auch mehreren Päpsten. Venedig und Genua, die schon zu byzantinischen Zeiten große Niederlassungen in Konstantinopel unterhielten, blieben bevorzugte Handelspartner und genossen auch unter den Osmanen erhebliche Privilegien, immer unterbrochen von kriegerischen Auseinandersetzungen. Während des osmanischen Vormarsches auf dem Balkan, der erst 1529 vor Wien gestoppt wurde, kam es immer wieder zu wechselnden Allianzen mit einzelnen italienischen Staaten oder auch Frankreich, die sich mit den Osmanen gegen die Habsburger verbündeten.
Was heute, gerade unter dem Eindruck einer angeblich neuen islamischen Bedrohung des Westens, als Geschichte des Kampfes zwischen Abend- und Morgenland, zwischen
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