Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
verhinderte die Opposition mit dem Militär im Rücken zunächst die Wahl eines AKP -Mannes, weil sie befürchteten, dass die AKP , wenn sie sowohl den Präsidenten wie den Ministerpräsidenten stellt, den Staatsapparat ganz nach ihrem Gusto umbauen würde. Erst nach Neuwahlen, die die AKP haushoch gewann, konnte dann der amtierende Präsident Abdullah Gül gewähltwerden. Die AKP hat als Konsequenz aus dieser Auseinandersetzung eine wichtige Verfassungsänderung durchgesetzt: Zukünftig wird der Präsident direkt vom Volk gewählt. Die unklare, zu gegenseitigen Blockaden einladende Aufteilung der Kompetenzen zwischen Regierung und Präsident aber bleibt. Der türkische Zentralstaat ist letztlich ein Mittelding zwischen französischer Präsidialherrschaft und deutscher Kanzlerdemokratie.
Wirtschaft
Seit etlichen Jahren glänzt die Türkei nun schon mit stabilen Wachstumsraten. Gelten in Deutschland schon 2 , 5 Prozent jährliches Wirtschaftswachstum als konjunkturelles Feuerwerk, konnte die Türkei von 2002 bis 2006 Wachstumsraten von etwa 7 Prozent vorweisen, die sich erst 2007 auf rund 5 Prozent abschwächten. Der Boom am Bosporus hat auch international Eindruck gemacht. Die direkten Auslandsinvestitionen, die in den 80 er und 90 er Jahren des letzten Jahrhunderts immer weit unter einer Milliarde Dollar im Jahr lagen, stiegen in den letzten Jahren dramatisch an und reichten 2007 bereits an die 20 Milliarden heran. Das schlug sich auch an der Istanbuler Börse nieder: Weltweit bot sie die viertbeste Performance. Das führte dazu, dass vor allem die börsennotierten türkischen Konzerne ihren Wert in diesen Aufschwungjahren oft verzehnfachten. Da die türkischen Großkonzerne im Gegensatz zu Deutschland immer noch alle mehrheitlich im Besitz einzelner Familien sind, haben Koc, Sabanci und Eczacibasi, die großen Drei der Türkei, aber auch noch etliche andere Industriellenclans, in diesen Jahren sagenhafte Reichtümer angehäuft. Aus ehemaligen Dollarmillionären wurden in etlichen Fällen vielfache Milliardäre.
Der Aufstieg der türkischen Wirtschaft glich dabei tatsächlich dem berühmten Phönix aus der Asche. Im Frühjahr 2001 erlebte die Türkei ihren schlimmsten Bankencrash seit Gründung der Republik 80 Jahre zuvor. Die damalige Regierung hatte mit dem Internationalen Währungsfond ( IWF ), bei dem das Land seit Anfang der 1980 er Jahre verschuldet ist, einen festen Wechselkurs zwischen Lira und Dollar vereinbart, an dem sie viel zu lange festhielt. Die Verschuldung des türkischen Staates war in immer größere Dimensionen gestiegen, die staatlichen Banken waren von den Parteien in großem Umfang als Selbstbedienungsläden missbraucht worden, und als sich abzeichnete, dass die staatlichen Devisenreserven dem Ende zugingen, begannen zunächst die Insider und dann alle, die Wind davon bekamen, ihre Lira in Dollar umzuschichten, bis die Zentralbank die Notbremse ziehen musste. Der feste Wechselkurs wurde von einem Tag auf den anderen aufgegeben, der Dollar verteuerte sich auf einen Sprung um rund 50 Prozent oder mit anderen Worten, die Lira verlor in ganz kurzer Zeit fast die Hälfte ihres Wertes. Es war ein Desaster, welches das Wirtschaftsleben des Landes fast zum Erliegen brachte. Indieser Situation machte der damalige Regierungschef Bülent Ecevit den Vizepräsidenten der Weltbank, Kemal Dervis, zum neuen Wirtschaftsminister, dessen Aufgabe es vor allem war, frisches Geld zu beschaffen. Dervis handelte mit dem IWF neue Unterstützungspakte aus, die den türkischen Staat zunächst einmal vor dem Bankrott retteten. Dass aus der daraus resultierenden enormen Abhängigkeit vom IWF nicht wie in vielen anderen Ländern eine lange Leidens-, sondern letztlich eine Erfolgsgeschichte wurde, haben die Türken der im November 2002 gewählten neuen Regierung der AKP zu verdanken.
Die AKP konnte erstmals seit zehn Jahren wieder eine Ein-Parteien-Regierung stellen und beendete damit ein Jahrzehnt permanenter Regierungswechsel und anhaltender Instabilität. Allein das schuf schon Vertrauen. Wichtiger aber war, dass die AKP , anders als ihre Vorgänger, mit dem angestrebten Beitritt zur EU wirklich Ernst machte. Der Kampf um den Beginn förmlicher Beitrittsverhandlungen, die dann Ende 2005 auch aufgenommen wurden, prägte die ersten Jahre der AKP -Herrschaft. Das führte zu enormen Anpassungsleistungen an die wirtschaftlichen Regeln der EU , was relativ schnell von ausländischen Investoren honoriert wurde. Das Ziel der
Weitere Kostenlose Bücher