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Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees

Titel: Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Gottschlich
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Frage nach dem Selbstverständnis der Türkei, dem Land zwischen Okzident und Orient. Vor gut 20 Jahren, 1987 , stellte die damalige türkische Regierung unter Turgut Özal erstmals offiziell den Antrag auf Mitgliedschaft in der damaligen EG . Im August 1984 stürmte die kurdische Arbeiterpartei PKK erstmals in einer koordinierten Aktion mehrere Polizeistationen im Südosten des Landes und begann damit ihren bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Kurdistan, und 1989 entschied das Verfassungsgericht, dass das Tragen des Kopftuches als Ausdruck der Zugehörigkeit zum politischen Islam an Universitäten und allen anderen staatlichen Institutionen für weibliche Angestellte und Studentinnen verboten ist.
    Bis heute ist es den türkischen Parteien nicht gelungen, auf diese entscheidenden Fragen des Landes befriedigende Antworten zu geben. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Türkei immer noch eine Demokratie unter Vorbehalt ist.
    Die derzeitige politische Landschaft ist nach wie vor beeinflusst von der letzten großen Zäsur in der türkischen Politik, dem Putsch am 12 . September 1980 . Durch den Staatsstreich wurden das bis dahin existierende Parteienspektrum zerschlagen und die Linke nachhaltig geschwächt. Vor allem die Gewerkschaftsbewegung leidet bis heute an den Folgen. Die türkische Parteienlandschaft wurde als Ergebnis des Putsches noch wesentlich zersplitterter, als es ohnehin schon der Fall gewesen war. Wurde das konservativ-agrarische und das konservativ-bürgerliche Spektrum bis zum Putsch von der rechten Demokratischen Partei repräsentiert und die Linke von der republikanischen CHP , so gab es nach der Rückkehr der Armee in die Kasernen zwei rechte bürgerliche und zwei linke sozialdemokratische Parteien, die sich jeweils programmatisch wenig unterschieden, wegen der persönlichen Konkurrenzen ihrer Führungsfiguren aber nicht zusammenarbeiten konnten. Die Folge davon waren unstabile Koalitionsregierungen, die sich im Wesentlichen mit sich selbst beschäftigten und einer enormen Korruption in Politik und Bürokratie Vorschub leisteten. Die 1990 er Jahre gelten deshalb als verlorenes Jahrzehnt, sowohl was die demokratische als auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes betrifft.
    Der Dauerschaukampf zwischen den rechten bürgerlichen Parteien nützte auch nicht der Linken, weil die ja dasselbe Schauspiel bot, sondern führte dazu, dass stattdessen die Partei des politischen Islam immer stärker wurde und 1996 mit Necmettin Erbakan das erste Mal den Ministerpräsidenten stellte. Zwar blieb Erbakan nur wenige Monate im Amt, bis die Regierung – eine Koalition mit einer der beiden rechtsbürgerlichen Parteien – auf Druck des Militärs auseinanderflog, doch war das Ende der Regierung Erbakans keineswegs das Ende des politischen Islam in der Türkei. Trotz Parteienverbots und Gefängnisstrafen für Führungsfiguren der Bewegung, wie dem heutigen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan, der Ende der 1990 er Jahre für ein halbes Jahr wegen islamistischer Propaganda ins Gefängnis musste, häutete sich die islamische Partei mehrfach und wurde danach jedes Mal erfolgreicher. Ein Teil der Modernisierer innerhalb der islamischen Bewegung um Erdogan und den heutigen Präsidenten Abdullah Gül spaltete sich 1999 von der orthodoxen islamischen Partei Erbakans ab und gründete die moderate, moderne Variante des heutigen politischen Islam der Türkei, die AKP . 2001 , bereits ein Jahr nach ihrer Gründung, gewann die AKP fast aus dem Stand heraus die Parlamentswahlen und schickte sich 2002 bereits an, die beiden abgewirtschafteten rechtsbürgerlichen Parteien zu beerben. Dieses Ziel hat sie mit einer gemäßigten islamischen und aggressiv neoliberalen Politik zielstrebig weiterverfolgt und bei den Wahlen 2007 dann den Erfolg für ihre Politik eingestrichen. Die AKP schaffte knapp 48 Prozent und konnte über die religiösen Wähler hinaus die gesamte konservative bürgerliche Rechte hinter sich vereinen.
    Dieser dynamischen Entwicklung auf der Rechten konnte die Linke nichts Entsprechendes entgegensetzen. Die gegenseitige Selbstzerfleischung endete zwar mit dem Tod von Bülent Ecevit, der jahrzehntelang die Führungsfigur der demokratischen Linken gewesen war und mit dessen Tod auch seine Partei unterging. Doch die übriggebliebene Republikanische Volkspartei, die ehemalige Partei Atatürks, die früher einmal der Motor für die Modernisierung und Verwestlichung des Landes gewesen war, retardierte mehr und mehr

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