Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
-Begeisterung in den Jahren, nachdem die EU zugestimmt hatte, jetzt wirklich mit Beitrittsverhandlungen zu beginnen, ist in der Türkei einer zunehmenden Verbitterung gewichen. Man hat den Eindruck, dass nur wenige Jahre nach Verhandlungsbeginn wichtige EU -Länder von ihren Versprechungen offenbar nichts mehr wissen wollen. Das gilt vor allem für Deutschland und Frankreich. Deutschland hat in der Frage, ob die Türkei Mitglied der EU werden soll oder eben nicht, seit mehr als 20 Jahren eine Schlüsselrolle gespielt. Als in den 1960 er Jahren die Assoziierungsabkommen zwischen der damaligen EWG und der Türkei abgeschlossen wurden, gehörten CDU -geführte Regierungen zu den eifrigsten Befürwortern einer türkischen EU -Mitgliedschaft. Das änderte sich mit der Regierung Kohl, die sich zunächst nicht festlegen wollte und Mitte der 1990 er Jahre dann dagegen votierte. Die Folge war, dass die Türkei bei der großen Erweiterungsrunde um die osteuropäischen Staaten nicht berücksichtigt wurde und deshalb schon einmal damit drohte, ihre Verbindungen zur EU zu kappen. Erst mit dem Amtsantritt der Regierung Schröder gab es einen Neuanfang.
Rot-Grün holte die Türkei zurück ins Boot, und Schröder sorgte entscheidend mit dafür, dass die EU die Türkei 1999 in Helsinki zum offiziellen Kandidaten erklärte. Nach den Terroranschlägen vom 11 . September 2001 wurde Gerhard Schröder dann mit Unterstützung des britischen Premiers Tony Blair zum eigentlichen Vorkämpfer für die Aufnahme förmlicher Beitrittsgespräche. Schröder und Blair überzeugten auch den eher zögerlichen französischen Präsidenten Chirac, so dass es dann im Herbst 2004 tatsächlich zu dem förmlichen Beschluss der EU kam, mit der Türkei über einen Beitritt zu verhandeln. Als Konzession an die Länder, die einem Türkei-Beitritt skeptisch gegenüberstanden, wurde festgelegt, dass die Verhandlungen »ergebnisoffen« geführt werden, die Verhandlungen also mehr sein sollten als nur noch die Umsetzung technischer Fragen, wie es bis dahin bei allen anderen Beitrittskandidaten immer der Fall gewesen war.
Doch schon ein Jahr später war die feierliche EU -Erklärung kaum noch das Papier wert, auf dem sie gedruckt worden war. Das politische Umfeld in Europa hatte sich gründlich verändert. Der Türkei-Befürworter Schröder war von Angela Merkel abgelöst worden, Franzosen und Niederländer hatten sich gegen eine EU -Verfassung ausgesprochen, angeblich auch deshalb, weil sie Angst vor einer türkisierten EU hätten.
In Frankreich ist deshalb fast die gesamte politische Klasse von einer Integration der Türkei in die EU abgerückt, der neue Präsident Nicolas Sarkozy mobilisiert ganz offen gegen eine türkische Mitgliedschaft. Was die türkische Regierung zunehmend verunsichert, sind jedoch nicht so sehr taktische Machtspiele in Wahlkämpfen oder Koalitionen, sondern die immer offeneren Aversionen gegen das »islamische Land« oder die »islamische Regierung«. Wenn eine EU -Mitgliedschaft der Türkei endgültig scheitern sollte, dann nicht daran, dass das Land doch angeblich geografisch gar nicht zu Europa gehört oder mit seinen in zehn Jahren vermutlich 90 Millionen Einwohnern die Machtbalance innerhalb der EU völlig verändern würde, sondern weil eine Integration an der religiösen Renaissance auf beiden Seiten scheitert. Angesichts der immer hysterischer werdenden Islamdebatte in Europa fragt man sich in Ankara mehr und mehr, ob man wirklich eine Mitgliedschaft in diesem »Christenclub« anstreben soll, und tatsächlich könnte die Türkei nicht in ein politisches Gebilde integriert werden, wenn dieses sich selbst über seine christlichen Wurzeln und in Abgrenzung zum Islam definiert. Zwar ist diese Diskussion innerhalb der EU noch im Fluss, aber die Tendenz geht eher in Richtung Abgrenzung.
Das Militär
Eines der größten innertürkischen Probleme auf dem Weg zu einem EU -kompatiblen Land ist die Rolle des Militärs. Das Militär ist seit Gründung der Republik, die im Unabhängigkeitskampf gegen Besatzer und Invasoren entstanden war, bis heute ein entscheidender Faktor in der türkischen Politik. Das Primat der Politik gegenüber dem Militär, im Demokratieverständnis der EU eine Grundvoraussetzung des politischen Systems, ist in der Türkei immer noch nicht selbstverständlich. Das hat mit der Geschichte des Landes zu tun, mit den unsicheren Grenzen und mit der teilweise unrühmlichen Rolle, die die zivile Politik immer wieder
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