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Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees

Titel: Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Gottschlich
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Daimler baut bereits heute einen großen Teil seiner Autobusse in der Türkei. Weil die Produktion von Bussen sehr arbeitsintensiv ist und nicht so leicht durch Roboter oder andere Maschinen erledigt werden kann, wurde intern wohl schon diskutiert, die gesamte Busproduktion nach Istanbul zu verlagern. Angesichts solcher Perspektiven ist die Bereitschaft der IG -Metall, sich für die türkischen Kollegen zu engagieren, verständlicherweise nicht besonders ausgeprägt.
    Die türkischen Gewerkschaften klagen jedenfalls, dass sie als Gewerkschafter, deren Land über einen EU -Beitritt verhandelt, weder vom europäischen Gewerkschaftsdachverband noch von der EU -Kommission viel Unterstützung bekommen. Die EU -Kommission, so Celebi, »interessiert sich für Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, den Schutz von Minderheiten und den Schutz ausländischer Investoren. Für die Rechte der Gewerkschaften interessiert sie sich nicht.«
    Soziale Absicherung
    Es ist nicht erstaunlich, dass in der Türkei die Familie immer noch die erste Adresse für die soziale Absicherung ist, wenn man erfährt, wie viel Rente nach jahrzehntelanger Arbeit selbst ehemalige staatliche Angestellte in besten Positionen bekommen. Ein früherer Kapitän der türkischen Handelsmarine oder ein Professor an einer staatlichen Universität erhält im Ruhestand umgerechnet etwa 300 bis 400 Euro.
    Allerdings gibt es für die niedrigen Renten eine Art Kompensation, die viele Türken und Türkinnen in Anspruch nehmen. Man kann sich bereits nach 25 Beitragsjahren seine Rente auszahlen lassen. Also wer mit 18 Jahren begonnen hat einzuzahlen, kann mit 43 Jahren in Rente gehen. Diese Rente ist dann zwar entsprechend niedrig, wird aber bis zum Lebensende gezahlt und dient den Betroffenen als eine Art Grundeinkommen. Mittlerweile ist das Rentenalter zwar drastisch heraufgesetzt worden und entspricht schon fast den deutschen Regeln, doch das gilt erst für die Generation, die jetzt einzuzahlen beginnt. Für die Älteren bietet ihre Rente im noch jungen Alter die Möglichkeit, sich selbständig zu machen oder sonst im weiten Feld der grauen Ökonomie tätig zu werden. So kommt man mit einem weniger stressigen Job und dem Grundgehalt von der Rentenkasse dann ganz gut über die Runden beziehungsweise kann zum Gesamteinkommen der Familie etwas beitragen.
    Seit die AKP an der Regierung ist, sind allerdings unter dem Druck des Internationalen Währungsfonds ( IWF ) immer mehr Sozialleistungen abgebaut worden, um das Land in Zeiten der Globalisierung für Investoren attraktiv zu machen. Genau wie in Deutschland ging und geht es um den Abbau der Lohnnebenkosten, die die meisten Unternehmen aber sowieso schon immer dadurch gedrückt haben, dass sie einen Teil ihrer Angestellten »schwarz« beschäftigten oder über Subunternehmen aus der Sozialversicherungspflicht heraushalten. So kommt es, dass nach Angaben in der türkischen Wirtschaftspresse bei einer Bevölkerung von rund 75 Millionen zwar rund 10 Millionen Jobs in Industrie und Gewerbe gab, davon aber nur die Hälfte der Arbeitnehmer eine Sozialversicherung genossen. Die meiste Arbeit in der Türkei findet nach wie vor ganz auf dem Schwarzen Markt statt, weswegen der Staat seine Steuern auch überwiegend nicht über Lohn- und Einkommenssteuern erzielt, sondern über Konsum und Mehrwertsteuer.
    Angesichts der hohen Geburtenrate und der insgesamt sehr jungen Bevölkerung ist nicht damit zu rechnen, dass die Anzahl sozialversicherter Jobs demnächst erheblich zunehmen wird. Jedes Jahr verlässt eine halbe Million junger Menschen die Schule oder die Universität und drängt zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Selbst eine Wirtschaft, die wie die türkische in den Jahren von 2002 bis 2006 um rund 7 Prozent im Jahr gewachsen ist, schafft nicht so viele neue Jobs. Prekäre Arbeitsverhältnisse bleiben deshalb die Regel und die Familie für das Gros der Bevölkerung die wichtigste soziale Absicherung.
    Krank sein in der Türkei
    Die türkische Gesundheitsversorgung unterliegt nicht nur einem Zwei-Klassen-, sondern einem Drei- oder Vier-Klassen-System. An der Spitze der Pyramide befinden sich gut versorgte Privatpatienten, die eine High-Tech-Medizin genießen können wie deutsche Privatpatienten auch. Hier ist in der Türkei schon ein kommerziell erfolgreicher Wirtschaftszweig entstanden, in dem Privatpatienten aus aller Welt versorgt werden, teilweise in Verbindung mit einem Urlaubsaufenthalt in einer teuren Klinik am Mittelmeer. Dann

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