Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
können, die bereits seit Generationen der Familie gehört. Da Eigentum natürlich in Schuss gehalten werden muss, wird in den eigenen vier Wänden eifrig geputzt und geschraubt. Deutsche Baumärkte schießen entlang der Stadtautobahn in Istanbul wie Pilze aus dem Boden und erfreuen sich größter Beliebtheit. Auch die zwei riesigen IKEA-Filialen, die es seit ein paar Jahren gibt, üben eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf das Istanbuler Publikum aus.
Vom Basar zum Shoppingcenter
Überhaupt, was im Sommer das Picknick im Grünen, ist im Winter der Ausflug ins Shoppingcenter. Ganze Familien schieben sich am Wochenende gut gelaunt durch das Gedränge. Es geht weniger darum, etwas einkaufen zu müssen, als vielmehr zu flanieren, so wie man in Italien auf dem Corso entlangschlendert. Ein viel zitierter Witz trifft diese Leidenschaft vor allem des weiblichen Teils der Familie ganz gut. Auf die Frage, wo er beerdigt werden möchte, sagt ein Mann ganz spontan: »Im Shoppingcenter. Da kommt meine Familie mich dann wenigstens besuchen.« Das Shoppingcenter kommt den Türken auch deshalb so entgegen, weil es die moderne Entsprechung des traditionellen Basars ist.
Der riesige, hunderte Jahre alte überdachte Basar Kapali Carsi ist heute in Istanbul vor allem eine Touristenattraktion. Kaum ein normaler Türke geht dort mehr einkaufen. Aber das Prinzip des Basars hat die Vorstellung von Handel und Einkauf geprägt. Der Basar ist eine große Ansammlung kleiner Läden. Dabei sind in traditionellen Basaren immer bestimmte Branchen in einer Gasse versammelt. Alle Goldschmiede in einer Basarstraße, alle Schuster in der nächsten, und auch die Lederjacken sind alle vor den Läden in einer eigenen Reihe aufgehängt. Das diente dem Preisvergleich, aber natürlich auch der Preisabsprache der Handwerker und Händler untereinander.
Bevor die Shoppingcenter in Mode kamen, sah man in Istanbul auch außerhalb des Basars dasselbe Prinzip teilweise verwirklicht. So gibt es in Beyoglu, im historischen europäischen Zentrum der Stadt, immer noch ein Viertel, wo sich Lampenladen an Lampenladen reiht und dazwischen sich höchstens noch ein Elektriker niedergelassen hat. Ein paar Straßen weiter sind dann alle Geschäfte für Musikinstrumente versammelt. Was es in der Türkei dagegen nie gab, waren Kaufhäuser wie Karstadt oder Kaufhof, die als Gemischtwarenlager möglichst viel unter einem Dach anbieten. Unter einem Dach soll es schon sein, aber dann doch lieber wie früher im Basar oder heute im Shoppingcenter: Ganz unterschiedliche Läden, Cafés und Kinos unter einem Dach.
Sowohl das beliebte Picknick im Sommer wie auch der Ausflug ins Shoppingcenter im Winter kommen der türkischen Mentalität noch in einem anderen Punkt entgegen. Man kann beides ohne große körperliche Anstrengung haben. Laufen, das habe ich eingangs ja schon erwähnt, tut nur jemand, der sich ein Auto nicht leisten kann. Wandern als Freizeitbeschäftigung gilt deshalb bei den meisten Türken nach wie vor als Spleen von Deutschen und anderen Nordeuropäern. Beim Picknick kann man dagegen ganz praktisch mit dem Auto bis zur Rasenkante vorfahren und dann direkt vor der Kühlerhaube seine Decke ausbreiten. Denselben Vorzug bietet die Tiefgarage im Shoppingcenter.
Leben für den Fußball
Entsprechend ausgeprägt ist bei den meisten Türken die eigene sportliche Betätigung. Leichtathletik ist eine Randerscheinung, es gibt eine einzige Läuferin, die international einen Namen hat. Die traditionellen türkischen Sportarten wie Ringen oder Gewichtheben sind heute mehr oder weniger Folklore, jedenfalls kein Volkssport mehr. Obwohl die Türkei Tausende Kilometer Küste hat, sind die meisten Türken Nichtschwimmer. Segeln ist zwar langsam im Kommen, aber immer noch ist es so, dass Leute, die Geld haben, sich lieber ein Motorboot als ein Segelboot zulegen, weil das doch viel bequemer ist. Es gibt allerdings die eine ganz große Ausnahme – und das ist der Fußball. Fußball ist nicht nur der Volkssport Nummer eins, Fußball ist eine der wahren Leidenschaften der Türken.
Gekickt wird an jeder Ecke, und Fußballclubs gibt es wie Sand am Meer. Der Bolzplatz im Viertel, von dem heute deutsche Fußballfunktionäre nostalgisch schwärmen, wenn sie über den Mangel an Nachwuchs klagen, findet sich in der Türkei in jeder Mahalle.
Fußball spielen auf der Straße kostet ja auch nichts, weswegen auch und gerade die Armen massenweise hinter dem Ball her jagen. Fußball ist
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