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Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees

Titel: Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Gottschlich
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ein Putsch gefordert worden. Doch die Linke fühlte sich stark genug, den Generälen zu widerstehen. Auf einem Kongress der DISK wenige Wochen zuvor hatte es noch geheißen, man werde einen Putsch mit einem Generalstreik beantworten und das Militär so ins Leere laufen lassen. Doch als es dann soweit war, blieb von den starken Sprüchen nichts übrig. Die führenden Köpfe der Linken waren noch in der ersten Nacht verhaftet worden, Kriegsrecht und Ausgangssperre sorgten dafür, dass sich erst gar kein Widerstand formieren konnte. In der Zeit vor Handy und Internet war die Kommunikation leichter zu kontrollieren und es entsprechend viel schwieriger, die eigenen Anhänger zu mobilisieren. Zudem sorgte die damalige Junta mit Massenverhaftungen dafür, dass die Angst vor den Folterkellern so groß war, dass jeder mehr daran dachte unterzutauchen, als Streiks zu organisieren. Leute, die Tage zuvor noch täglich in den linken Medien präsent waren, verschwanden spurlos, alle kritischen Zeitungen waren dicht.
    Mit am härtesten von dem Putsch betroffen war der Gewerkschaftsdachverband DISK . Süleyman Celebi, der heutige Vorsitzende von DISK , war damals ein junger Funktionär der Textilgewerkschaft. Er ist bis heute davon überzeugt, dass der Putsch vor allem die Gewerkschaften treffen sollte. Im Gegensatz zu den Parteien, die nach drei Jahren wieder zugelassen wurden, blieb DISK zwölf Jahre verboten. Celebi selbst wurde wie Hunderte andere Gewerkschaftsmitglieder unmittelbar nach dem Putsch verhaftet und blieb bis 1985 im Gefängnis. Auch danach schleppten sich die Prozesse gegen Gewerkschaftsfunktionäre noch jahrelang hin, er selbst stand bis 1992 vor Gericht. In dieser Zeit, so erzählt Celebi, hatten die Arbeiter entweder überhaupt keine Vertretung, oder sie wurden in den regierungsfreundlichen, sogenannten gelben Gewerkschaftsdachverband Türk-Is gedrängt.
    Zwar ist DISK seit nunmehr 16 Jahren wieder aktiv, aber die Gewerkschaftsbewegung ist völlig zersplittert. Die gelbe Türk-Is blieb nach dem Putsch der zahlenmäßig größte Dachverband, neben der linken DISK gibt es noch den islamisch beeinflussten Gewerkschaftsverband Hak-Is. Zu jedem dieser Verbände gehören zahlreiche Einzelgewerkschaften, allein zu DISK 26 . Außerdem gibt es noch zwei Organisationen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die linke KESK und der konservative, dem deutschen Beamtenbund vergleichbare KAMUSEN . Der größte Teil der nach dem Putsch neu eingeführten Gesetze, die die Arbeit der Gewerkschaften erheblich erschweren, ist bis heute in Kraft. Um beispielsweise Mitglied der Gewerkschaft werden zu können, reicht es nicht, eine Beitrittserklärung zu unterschreiben, sondern man muss diese Erklärung notariell beglaubigen lassen. Das kostet, ist umständlich und wird gleich offiziell dem Arbeitgeber gemeldet. Damit eine Gewerkschaft Tarifverhandlungen führen kann, muss sie mindestens 10 Prozent aller Arbeitnehmer einer Branche und 50 Prozent einer Fabrik organisiert haben.
    Um DISK als Tarifpartner zu verhindern, achten die Arbeitgeber deshalb darauf, dass in ihrem Betrieb nicht zu viele Arbeiter bei DISK organisiert sind. Dabei, erzählt Celebi, gingen jene völlig brachial vor. Oft würden Arbeiter vor die Alternative gestellt, entweder von DISK zu Türk-Is zu wechseln oder gekündigt zu werden. Manchmal würden auch gleich DISK -Gewerkschafter rausgeschmissen und nur noch solche Leute eingestellt, die sich zuvor verpflichten, Türk-Is-Mitglied zu werden.
    Diese Praktiken sind übrigens nicht auf türkische Unternehmer beschränkt, sondern werden auch von deutschen Konzernenbenutzt. So berichtet Celebi von einem besonders brutalen Arbeitskampf bei dem Autozulieferer Grammer. Dort seien DISK -Mitglieder nicht nur rausgeschmissen, sondern auch von Schlägertrupps bedroht worden. Allerdings konnte DISK dort mit Hilfe der IG -Metall letztlich doch einen Erfolg erzielen. Das ist aber leider immer noch ein Einzelfall. Obwohl fast alle großen deutschen Konzerne in der Türkei vertreten sind, angefangen von Siemens über Daimler, Bosch, Bayer und so weiter, ist die Zusammenarbeit der Gewerkschaften über den nationalen Rahmen hinaus nach wie vor sehr schwierig. Einmal können die Gewerkschaften bei der Geschwindigkeit, in der Konzerne heute über Ländergrenzen hinweg agieren, nicht mithalten. Und zum Zweiten gelingt es großen Konzernen ja oft, Belegschaften in dem einen Land gegen die in einem anderen Land auszuspielen.

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