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Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees

Titel: Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Gottschlich
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gibt es die Gruppe derjenigen, die die staatliche Krankenversicherung ( SSK ) um eine Privatversicherung für medizinische Teilbereiche ergänzen und damit auch immer noch gut versorgt werden. Bei denjenigen, die gänzlich auf die staatliche Krankenversicherung angewiesen sind, wird es dagegen schon kritisch.
    Während bestimmte Gruppen staatlicher Angestellter, Berufsmilitärs, höhere Beamte oder ehemalige Abgeordnete sehr gute medizinische Einrichtungen nützen können, steht für die Masse der SSK -Versicherten im Ernstfall ein schwerer Kampf um knappe medizinische Ressourcen an. Hoffnungslos überfüllte Wartezimmer, stundenlanges Anstehen für die Ausgabe von Medikamenten und im schlimmsten Fall noch das Organisieren eines Krankenhausplatzes, das sind alles Aufgaben, an denen die Familie mitwirken muss.
    In Deutschland wundert man sich ja immer darüber, wenn türkische Patienten im Krankenhaus von ihrer Großfamilie geradezu belagert werden, in der Türkei sind in den meisten Krankenhäusern dagegen bei Pflege und Versorgung der Patienten die Familien fest eingeplant. Statt teurer Nachtschwestern wacht ein Familienmitglied am Bett, gutes Essen wird ebenfalls von der Familie herangeschafft, und für die psychische Aufmunterung ist erst recht die Familie zuständig. Steht womöglich eine Operation bevor, wird nichts dem Zufall oder gar dem System überlassen. Jede Familie konsultiert vor einem operativen Eingriff mindestens einmal den zuständigen Arzt. Dabei geht es nicht nur um medizinische Informationen, sondern um vertrauensbildendeMaßnahmen für beide Seiten. Man will den Menschen kennenlernen, in dessen Händen womöglich das Schicksal des nächsten Angehörigen liegen wird. Der Arzt soll nicht einen anonymen Patienten vor sich haben, sondern dessen Familie kennen. Und last but not least versucht jede Familie, die es sich irgendwie leisten kann, dem Operateur eine finanzielle Gratifikation, eine Anerkennung und Aufbesserung seines Klinikgehaltes zukommen zu lassen. Einfach, damit er wirklich sein Bestes tut. Das ist zwar keine Pflicht, wird aber mehr oder weniger erwartet.
    Zudem gibt es noch eine sehr große Gruppe der türkischen Bevölkerung, die weder privat versichert noch selbst oder über ein Familienmitglied bei der staatlichen SSK registriert ist. Alle diejenigen, die schwarzarbeiten, die sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen oder in der Landwirtschaft tätig sind, haben in der Regel keinerlei Krankenversicherung. Erstaunlicherweise gewährleistet der türkische Staat mit erheblichem finanziellen Aufwand für diese Armen eine weitgehende medizinische Grundversorgung.
    Grundsätzlich kann jeder Bedürftige, der nachweist, dass er selbst für eine medizinische Versorgung nicht aufkommen kann, bei seinem Muhtar, also seinem Bezirksvertreter, eine sogenannte Yesil-Kart (also eine Grüne Karte) beantragen, mit der er dann auf Staatskosten einen Arzt aufsuchen oder ins Krankenhaus gehen kann. Selbst teure Herzoperationen oder andere langwierige Behandlungen können über eine Yesil-Kart abgerechnet werden. Niemand bleibt also auf der Straße, man muss sich nur darum kümmern. Vor allem seit die AKP an die Regierung gekommen ist, hat die Zahl der Yesil-Kart-Benutzer erheblich zugenommen. War die Vergabe dieser Gesundheitskarte in der Vergangenheit noch sehr restriktiv, wird sie unter der Regie der AKP ziemlich freigiebig verteilt, was sich bei den Wahlen für die AKP natürlich positiv bemerkbar macht.
    Durch dieses Sicherungsnetz fallen am ehesten wiederum Frauen in ganz armen Familien, zumeist auf dem Land. Die Frau bekommt eine Yesil-Kart nur über ihren Ehemann oder ihren Vater. Als vor einigen Jahren im Osten der Türkei die Vogelgrippe ausbrach und drei Kinder daran starben, fiel auf, dass etliche Frauen und Kinder in den Familien deshalb nicht zum Arzt gingen, weil sie keine Yesil-Kart hatten. Das sind dann Kinder, oft Mädchen, die der Vater nie offiziell in das Geburtsregister hat eintragen lassen, oder Frauen, mit denen er nicht gesetzlich, sondern nur über eine Imam-Ehe (also von einem Geistlichen vollzogen, nicht über das Standesamt) verheiratet ist. Das kommt vor allem dann vor, wenn in traditionellen ländlichen Familien der Mann sich neben seiner gesetzlichen Ehefrau noch eine Zweitfrau nimmt. Da solche Beziehungen offiziell gar nicht existieren, kann die Frau auch keine Grüne Karte bekommen.
    Grundsätzlich aber gilt: Jeder kann im Notfall auf Staatskosten zum Arzt oder auch ins

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