Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
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Wer den für mich schönsten Roman Orhan Pamuks »Mein Name ist Rot« gelesen hat, kennt bereits das Dilemma der türkischen Malerei. Malen als künstlerische Ausdrucksform war im Osmanischen Reich durch das Bilderverbot im Islam auf eine eng begrenzte, ornamentale Kunst beschränkt. Man kann diese Kunst auf höchstem Niveau in den Sultansmoscheen in Istanbul bewundern, wo, auf Fayencen gebrannt, stilisierte Blumen ganze Wände beherrschen. Ein anderer Ausdruck dieser Kunst ist die Kalligrafie, bei der aus den arabischen Schriftzeichen des Korans fast schon Gemälde entwickelt wurden. Die am weitesten der gegenständlichen Kunst des Westens entgegenkommende Kunstform der islamischen Welt ist die Miniaturmalerei, die die Osmanen aus Persien importierten. Auf diesen Bildern sind zwar Figuren zu sehen, doch die sind so stilisiert, dass sie keinen persönlichen Ausdruck aufweisen, sondern nur Zitate der Gattung sind. Stilisierte Pferde oder Löwen und eben auch Menschen, aber Menschen ohne persönliches Gesicht. Pamuk erzählt in seinem Roman über den Konflikt der Miniaturmaler des osmanischen Hofes, als der Padischah einen der Hofmaler beauftragt, ein echtes Porträt von ihm zu erstellen. Es gab immer wieder Sultane, die sich über das Bilderverbot hinwegsetzten und Porträts von sich anfertigen ließen – aber dazu holten sie in der Regel eben ausländische Künstler. Das berühmteste ist das Porträt des italienischen Malers Bellini, der im 15 . Jahrhundert den Eroberer von Konstantinopel, Sultan Mehmet II ., malte.
Es dauerte aber bis ins 19 . Jahrhundert, dass sich das Osmanische Reich und der Hof so weit säkularisiert hatten, dass eine an westeuropäischen Traditionen angelehnte Malerei in größerem Umfang im Lande entstehen konnte. Für die Entwicklung einer eigenständigen türkischen Malerei steht vor allem ein Name: Osman Hamdi Bey. Der 1842 geborene Sohn eines hohen Palastbeamten bewirkte einen regelrechten Kulturschub im Osmanischen Reich. Mit 18 Jahren ging er nach Paris, weil er dort Rechtswissenschaften studieren sollte. Er tat seiner Familie auch diesen Gefallen, seine eigentliche Liebe aber galt der Malerei. In seinen Jahren in Paris verbrachte er mehr Zeit in diversen Ateliers als an der Universität. Trotzdem war er auf beiden Gebieten erfolgreich. Er lernte nicht nur malen, sondern brachte auch sein Rechtsstudium zu einem erfolgreichen Abschluss. Nach seiner Rückkehr wurde er zunächst auf verschiedenen hohen Verwaltungsposten eingesetzt, bis ihm dann 1881 die Leitung des Palast-Museums (Imparatorluk Müzesi) anvertraut wurde. Damit war Osman Hamdi Bey endlich an einer Position angelangt, von wo aus er die Dinge in Bewegung setzen konnte, von denen er schon lange geträumt hatte.
Nur zwei Jahre nach seiner Berufung an die Spitze des Palast-Museums gründete er zuerst die Akademie für Schöne Künste und wenig später das Archäologische Museum. Beide Institutionen spielen bis heute in der Türkei eine wichtige Rolle. Die Istanbuler Kunstakademie ist die führende Kunstschule des Landes, nicht nur Maler und Bildhauer, sondern auch Architekten werden hier ausgebildet. Das Archäologische Museum ist heute zu einem ganzen Museumskomplex geworden, das eine bedeutende Antiken-Sammlung, einschließlich wertvoller Troja-Funde, beherbergt, die byzantinische Geschichte zeigt und ein eigenes Haus für die Geschichte Mesopotamiens aufweist. Obwohl die Europäer im 19 .Jahrhundert viele wertvolle Stücke aus dem damaligen Osmanischen Reich abtransportiert haben, die heute auf der Berliner Museumsinsel, im Louvre oder im Britischen Museum zu sehen sind, gibt es dank Osman Hamdi Bey doch auch im Istanbuler Archäologischen Museum eine ansehnliche Sammlung aus allen Gebieten des früheren Osmanischen Reiches.
Hamdi Bey wurde aber nicht nur zum entscheidenden Kulturmanager des 19 . Jahrhunderts, er hat auch Zeit seines Lebens selbst gemalt. Das bis heute berühmteste Bild der türkischen Malerei (Kaplumbaga Terbiyecisi – Die Belehrung der Schildkröten) stammt von ihm. Die reichste Industriellen-Dynastie der Türkei, die Koc-Familie, hat das Bild vor wenigen Jahren für mehr als 4 Millionen Dollar für ihr neues Pera-Museum in Beyoglu gekauft.
Die Koc-Familie ist jedoch nicht die einzige Industriellen-Dynastie, die sich in Istanbul mit einem Museum selbst ein Denkmal gesetzt hat. Auch zwei weitere Schwergewichte unter den türkischen Superreichen sind im Kunstbereich ganz vorn mit dabei. 2004
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