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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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leiser. »Ich bin sicher, daß er es ist. Ein sehr geschickter Herr. Er hat unseren d’Hévrais schön um den Finger gewickelt. Nur drei Bataillone, hat er gesagt, die Hauptkräfte kämen nicht so bald heran. Nicht besonders einfallsreich, aber elegant. Und wir Holzköpfe haben den Köder geschluckt.«
    »Aber wenn am Mißerfolg des ersten Sturmangriffs d’Hévrais nicht schuld ist, sondern der von ihm getötete Lucan, der Verräter, dann ist doch der Journalist zu Unrecht ausgewiesen worden?« fragte Warja.
    »So ist es. Der Ärmste hat einfach Pech gehabt.« Der Oberstleutnant machte eine wegwerfende Handbewegung und trat näher. »Sie sehen, wie offen ich zu Ihnen bin, Warwara Andrejewna. Ich habe Ihnen eine geheime Information mitgeteilt. Und Sie wollen mir eine Lappalie vorenthalten. Ich habe mir die Liste aus dem Notizbuch abgeschrieben und plage mich schon den dritten Tag damit herum, vergeblich.Zuerst dachte ich, eine Chiffre. Sieht nicht so aus. Ein Verzeichnis der Truppenteile oder ihrer Bewegungen? Verluste und Verstärkungen? Nun sagen Sie doch, was meint Fandorin?«
    »Ich sage nur eines: Es ist viel einfacher«, bemerkte Warja herablassend, rückte an ihrem Hut und ging leichtfüßig zum Presseklub.
     
    Die Vorbereitungen auf den dritten und endgültigen Sturmangriff gegen die Festung Plewna zogen sich über den ganzen glutheißen August hin. Obwohl die Zurüstungen strenger Geheimhaltung unterlagen, wurde im Lager offen darüber gesprochen, daß die Schlacht am 30. sein würde, dem Allerhöchsten Namenstag. Von früh bis spät fanden in den umliegenden Tälern und Hügeln gemeinsame Manöver von Infanterie und Reiterei statt, über die Straßen zogen Tag und Nacht Feld- und Belagerungsgeschütze. Die abgekämpften jungen Soldaten waren traurig anzusehen: durchgeschwitzte Feldblusen und staubgraue Mützen mit Sonnenschutztüchern, aber die allgemeine Stimmung war freudig und rachedurstig: Jetzt ist Schluß, unsere Geduld ist am Ende, wir Russen spannen langsam an, kommen aber schnell in Fahrt, wir klatschen die lästige Plewna-Fliege mit der ganzen Kraft unserer Bärentatze tot.
    Im Klub und im Offizierskasino, wo Warja zu speisen pflegte, hatten sich alle in Strategen verwandelt – sie zeichneten Skizzen, warfen mit den Namen türkischer Paschas um sich, rätselten, von wo der Hauptschlag geführt würde. Ein paarmal kam Sobolew geritten, gab sich aber wichtig und geheimnisvoll, spielte auch nicht mehr Schach, sah Warja würdevoll an und klagte nicht mehr über das böse Schicksal. Ein Stabsmitarbeiter, den sie kannte, flüsterte ihr zu, derGeneral werde bei dem bevorstehenden Angriff wenn nicht die Schlüssel-, so doch eine eminent wichtige Rolle spielen, und er befehlige nunmehr zwei Brigaden und ein Regiment. Also wurden seine Verdienste endlich anerkannt.
    Ringsum herrschte lebhaftes Treiben, und Warja bemühte sich nach Kräften, sich von der allgemeinen Hochstimmung anstecken zu lassen, aber es gelang ihr nicht. Um die Wahrheit zu sagen, sie hatte die ewigen Gespräche über Reserven, Dislozierungen und Verbindungswege gründlich satt. Zu Petja durfte sie noch immer nicht, Fandorin lief finster wie die Nacht herum und beantwortete Fragen mit unartikuliertem Gebrumm, Surow zeigte sich nur als Begleiter seines Patrons, er warf Warja Blicke zu wie ein gefangener Wolf und schnitt dem Büfettier Semjon klägliche Grimassen, aber er spielte nicht und bestellte keinen Wein – bei Sobolew herrschte eiserne Disziplin. Flüsternd klagte er, daß Perepjolkin »die ganze Wirtschaft« an sich gerissen habe und keinen mehr atmen lasse. Und Sobolew stärke diesem Kerl auch noch den Rücken und dulde nicht, daß ihm mal eine anständige Abreibung verpaßt wurde. Wenn nur bald der Sturmangriff begänne!
    In all den letzten Tagen war das einzige freudige Ereignis die Rückkehr von d’Hévrais, der, wie sich herausstellte, das Unwetter in Kischinjow abgewartet hatte und, nachdem er von seiner vollständigen Rehabilitierung erfahren hatte, an den Kriegsschauplatz zurückgeeilt war. Aber auch er war wie ausgewechselt. Er unterhielt sie nicht mehr mit spannenden Geschichten, vermied es, über das Bukarester Ereignis zu sprechen, sauste dauernd durch das Lager, um den versäumten Monat nachzuholen, und kritzelte Artikelchen für seine »Revue«. Warja fühlte sich ungefähr so wie im Restaurant des »Royal«, als die Männer, nachdem sie Blut gerochen hatten,wie von der Kette gelassen losstürmten und völlig

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