Türkisches Gambit
bewegte sich, Warja erblickte eine stämmige Gestalt in blauer Gendarmenmontur, wandte sich eiligab und tat, als wäre sie in den Anblick des Dörfchens Bohot versunken, in dem der Stab des Oberbefehlshabers Quartier genommen hatte. Wo, dachte sie, ist da die Gerechtigkeit? Der schäbige Intrigant und Geheimschnüffler Kasansaki geht einfach in den Klub, während sie, eigentlich doch das unschuldige Opfer von widrigen Umständen, sich auf der staubigen Straße herumdrücken muß wie ein Hofhund! Warja schüttelte entrüstet den Kopf und war fest entschlossen, in ihr Zelt zu gehen, doch da ertönte von hinten die einschmeichelnde Stimme des verhaßten Griechen: »Frau Suworowa, welch angenehme Begegnung!«
Warja drehte sich um und schnitt eine Grimasse, überzeugt, auf die ungewohnte Liebenswürdigkeit des Oberstleutnants werde alsbald ein Schlangenbiß folgen.
Kasansaki sah sie an, die dicken Lippen zu einem Lächeln verzogen, und sein Blick war fast schmeichlerisch.
»Alle im Klub reden nur von Ihnen und warten ungeduldig auf Sie. Wissen Sie, nicht jeden Tag werden wegen einer schönen Dame die Klingen gekreuzt, noch dazu mit letalem Ausgang.«
Warja wartete argwöhnisch auf den Pferdefuß, aber der Gendarm lächelte noch süßer.
»Graf Surow hat schon die ganze Eskapade in den saftigsten Farben ausgemalt, und dann dieser Artikel …«
»Welcher Artikel?« fragte Warja ernstlich erschrocken.
»Nun, unser in Ungnade gefallener d’Hévrais hat in der ›Revue Parisienne‹ eine ganze Kolumne veröffentlicht, in der er den Zweikampf beschreibt. Romantisch. Sie nennt er nur ›la belle m-lle S.‹.«
»Und«, Warjas Stimme zitterte ein wenig, »gibt man mir die Schuld?«
Kasansaki zog die dichten Augenbrauen hoch.
»Allenfalls MacLaughlin und Perepjolkin. Aber der erste ist ein bekannter Nörgler, und der zweite kommt nur selten mal angeritten, höchstens mit Sobolew. Apropos, Perepjolkin hat für den letzten Kampf das Georgskreuz gekriegt. Für welche Verdienste wohl? Da sieht man’s – zur rechten Zeit am rechten Ort sein ist alles.«
Der Oberstleutnant schmatzte neidisch und kam nun vorsichtig auf das Wichtigste zu sprechen.
»Alle rätseln, wo unsere Heldin geblieben ist, und was stellt sich heraus? Unsere Heldin ist mit wichtigen Staatsangelegenheiten beschäftigt. Na, was geht dem schlauen Herrn Fandorin durch den Sinn? Was für Hypothesen gibt es über die geheimnisvollen Notizen von Lucan? Wundern Sie sich nicht, Warwara Andrejewna, ich bin auf dem laufenden. Schließlich leite ich die Sonderabteilung.«
Sieh mal an, dachte Warja und runzelte die Stirn. Hab ich’s doch gewußt. Wie flink der sich ins gemachte Bett legt.
»Erast Petrowitsch hat mir was erklärt, aber ich hab’s nicht ganz verstanden«, sagte sie mit naivem Wimpernschlag. »Irgendwas mit ›S‹ oder ›J‹. Fragen Sie am besten den Herrn Titularrat selbst. Jedenfalls ist mein Pjotr Jablokow gänzlich unschuldig, soviel steht fest.«
»Verrat hat er sich möglicherweise nicht zuschulden kommen lassen, aber verbrecherische Fahrlässigkeit bestimmt.« Die Stimme des Gendarmen hatte wieder das stählerne Klirren. »Mag Ihr Bräutigam einstweilen sitzen, es geschieht ihm nichts.« Aber Kasansaki änderte sogleich wieder den Ton, er hatte sich wohl erinnert, daß er heute in einer anderen Rolle auftrat. »Es findet sich alles, Warwara Andrejewna. Ich bin nicht hochnäsig und stehe nicht an, einen Irrtum zu bekennen. Nehmen wir zum Beispiel den unvergleichlichen Monsieur d’Hévrais. Ja, ich gebe zu: Ich habe ihn verdächtigt undverhört und hatte Grund dazu. Wegen seines verhängnisvollen Interviews mit dem türkischen Oberst hat unsere Führung einen Fehler gemacht, der Menschenleben kostete. Ich hatte die Hypothese, daß Oberst Ali Bei eine mythische Person ist, die sich der Franzose ausgedacht hat, aus journalistischer Eitelkeit oder aus anderen, weniger unschuldigen Erwägungen. Jetzt sehe ich, daß ich ungerecht war.« Er senkte vertraulich die Stimme. »Wir haben Agentenmeldungen aus Plewna bekommen. Osman Pascha hat tatsächlich einen Berater Ali Bei. Der zeigt sich fast nie in der Öffentlichkeit. Unser Mann hat ihn von weitem gesehen, er konnte nur einen schwarzen Vollbart und eine dunkle Brille ausmachen. D’Hévrais hat übrigens auch den Bart erwähnt.«
»Bart, Brille?« Warja senkte auch die Stimme. »Ist das nicht der, wie heißt er gleich, Anwar Effendi?«
»Psst!« Kasansaki sah sich nervös um und sprach noch
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