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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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von der Stelle zu rühren, beugt nur den Oberkörper zurück, um dem Schlag auszuweichen, dann stößt er blitzartig, ich konnte gar nicht so schnell gucken, dem Rumänen die Schneide in die Kehle. Es gluckert, der Oberst fällt hin, zuckt mit den Beinen, und aus, Ruhestand ohne Pension. Ende des Duells.«
    »Haben Sie nachgesehen? Ist er tot?« fragte der Ire schnell.
    »Toter geht’s gar nicht«, versicherte Surow. »Ein Ladoga-See von Blut. Warwara Andrejewna, Sie sind ja ganz verstört! Bleich sehen Sie aus! Stützen Sie sich auf mich!« Mit Vergnügen legte er ihr die Hand um die Taille, was in dieser Situation ganz angebracht war.
    »Und d’Hévrais?« lispelte sie.
    Surow griff wie versehentlich etwas höher und meldete sorglos:
    »Was soll sein? Er ist zur Kommandantur, um sich selbst anzuzeigen. Dort werden sie ihm nicht den Kopf streicheln. Er hat ja keinen Offiziersschüler erlegt, sondern einen Oberst. Bestenfalls werden sie ihn nach Frankreich zurückschicken. Ich mach mal hier den Knopf auf, dann bekommen Sie besser Luft.«
    Warja sah und hörte nichts. Ich bin blamiert, dachte sie. Den Ruf der anständigen Frau bin ich für immer los. Aus das Spiel mit dem Feuer, aus das Spionieren. Ich bin eine leichtsinnige dumme Gans, und die Männer sind Tiere. Ihretwegen war ein Mensch getötet worden. Und sie würde d’Hévrais nie wiedersehen. Und das Schlimmste – der Faden, der zum feindlichen Spinnengewebe führte, war gerissen.
    Was würde Fandorin sagen?

ACHTES KAPITEL,
    in welchem Warja des Todesengels ansichtig wird
    »Regierungsbote« (Sankt Petersburg)
    vom 30. Juli (11. August) 1877
    »Ungeachtet quälender Anfälle von Katarrh und blutiger Diarrhöe hat der Imperator in den letzten Tagen Spitäler besucht, die überfüllt sind mit Typhuskranken und Verwundeten. Seine Kaiserliche Majestät bekunden eine solche Herzlichkeit für die Leidenden, daß einem bei diesen Szenen unwillkürlich warm ums Herz wird. Die jungen Soldaten stürzen sich wie Kinder auf die Geschenke und zeigen eine ganz naive Freude.
    Der Autor dieser Zeilen hat mehr als einmal gesehen, wie die schönen blauen Augen des Imperators von Tränen feucht wurden. Es ist unmöglich, diese Szenen ohne ein besonderes Gefühl der andächtigen Rührung zu beobachten«
     
    Fandorin sagte dies: »Sie waren lange u-unterwegs, Warwara Andrejewna, haben viel Interessantes versäumt. Gleich nach Ihrem T-telegramm habe ich verfügt, das Zelt und die persönlichen Sachen des Getöteten sorgfältig zu durchsuchen. Es wurde nichts Aufschlußreiches gefunden. Aber vorgestern wurden aus Bukarest die Papiere gebracht, die Lucan bei sich hatte. Und was meinen Sie?«
    Warja hob furchtsam den Blick und sah dem Titularrat zum erstenmal ins Gesicht. Mitleid oder gar Verachtung las sie nicht in dessen Augen, nur Konzentration und vielleicht Jagdeifer. Doch die Erleichterung wich sogleich der Scham:Sie hatte getrödelt aus Furcht vor der Rückkehr ins Lager, hatte sich um ihren kostbaren Ruf gesorgt und alles andere darüber vergessen, Egoistin.
    »Reden Sie schon!« drängte sie Fandorin, der mit Interesse zusah, wie ein Tränchen über Warjas Wange rollte.
    »Bitte v-verzeihen Sie großmütig, daß ich Sie in diese Geschichte hineingezogen habe«, sagte Fandorin schuldbewußt. »Alles hätte ich erwartet, nur d-das …«
    »Was haben Sie in Lucans Papieren gefunden?« fiel Warja ihm ärgerlich ins Wort, denn sie fühlte, wenn das Gespräch nicht sofort eine sachliche Wende nahm, würde sie losheulen.
    Ob nun ihr Gesprächspartner diese Möglichkeit erahnte oder ob er das Thema für ausgeschöpft hielt, jedenfalls ging er nicht weiter auf die Bukarester Episode ein.
    »Hochinteressante Eintragungen in einem Notizbuch. Da, sehen Sie.«
    Er zog ein elegantes Büchlein im Brokateinband aus der Jackentasche und schlug es beim Lesezeichen auf. Warja überflog eine Zahlen- und Buchstabenkolonne:
    19=S -1500
    20=S -3400-i
    21=J +5000 S-800
    22=S -2900
    23=J +5000 S-700
    24=S -1100
    25=J +5000 S-1000
    26=S -300
    27=J +5000 S-2200
    28=S -1900
    29=J +15000 S+i
    Sie las noch einmal langsamer, dann noch einmal. Gar zu gern hätte sie Scharfsinn gezeigt.
    »Eine Chiffre? Nein, die Numerierung geht fortlaufend. Eine Liste? Die Nummern von Regimentern? Die Anzahl von Soldaten? Vielleicht Verluste und Verstärkungen?« Warja zog die Stirn kraus. »Also war Lucan doch ein Spion? Aber was bedeuten die Buchstaben S, J, i? Vielleicht Formeln oder Gleichungen?«
    »Sie tun dem

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