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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Armee, wir können von hier aus nur einen Teil dieses gewaltigen Raums überschauen. Beachten Sie den runden Hügel, nein, nicht den, da wo das weiße Zelt ist. Das ist das zeitweilige Hauptquartier. Dort sind der Befehlshaber der Westgruppe Fürst Karl von Rumänien, der Oberbefehlshaber Großfürst Nikolai und Imperator Alexander persönlich. Oh, die Leuchtkugeln! Ein malerisches Schauspiel, nicht wahr?«
    Über dem menschenleeren Feld, das die feindlichen Seiten trennte, zeichneten Rauchstreifen steile Bögen – als hätte jemand das Himmelsgewölbe in Scheiben geschnitten wie eine Melone oder einen Brotlaib. Warja legte den Kopf in den Nacken und sah hoch droben drei bunte Bälle, den einen nahe, den zweiten weiter weg, über dem Hauptquartier, und den dritten über dem Horizont.
    »Das sind Luftballons, Warwara Andrejewna«, sagte der herzugetretene Kasansaki. »Mit ihnen und mit Signalfähnchen wird das Artilleriefeuer korrigiert.«
    Der Gendarm war noch unangenehmer anzusehen als sonst. Er ließ erregt die Finger knacken, seine Nüstern blähten sich nervös. Der Vampir hatte Menschenblut gewittert. Warja trug ihren Stuhl demonstrativ ein Stück weiter, doch der Oberstleutnant übersah ihr Manöver. Er trat wieder zu ihr und zeigte dahin, wo es hinter den flachen Hügeln besonders heftig krachte.
    »Unser gemeinsamer Bekannter Sobolew leistet sich wiedermal ein tolles Stück. Laut Disposition besteht seine Rolle darin, gegen die Krischin-Redoute einen Scheinangriff zu führen, während die Hauptkräfte den Schlag im Zentrum führen. Aber unser Ehrgeizling konnte sich nicht zügeln. Entgegen dem Plan hat er sich schon am Morgen auf einen Frontalangriff eingelassen. Nicht genug, daß er sich von den Hauptkräften gelöst hat und durch die türkische Reiterei abgeschnitten wurde, gefährdet er die ganze Operation! Na, der wird was auf die Nase kriegen!«
    Kasansaki zog eine goldene Uhr aus der Tasche, nahm die Mütze ab und bekreuzigte sich.
    »Drei Uhr! Jetzt geht’s los!«
    Warja drehte sich um und sah, wie das ganze Tal in Bewegung geriet: Die Inselchen der weißen Feldblusen wogten, bewegten sich rasch zur vordersten Linie. An der Anhöhe vorbei liefen blasse Männer, vorneweg, humpelnd, ein älterer Offizier mit langem Schnauzbart.
    »Nicht zurückbleiben, das Bajonett höher!« schrie er durchdringend und blickte zurück. »Semenzow, paß mir auf! Ich reiß dir die Rübe ab!«
    Schon gingen andere Kompanien vorbei, doch Warjas Blick folgte noch immer jener ersten mit dem älteren Kommandeur und dem unbekannten Semenzow.
    Die Kompanie entfaltete sich zur Linie und lief langsam auf die ferne Redoute zu, wo immer dichter Erdfontänen aufsprangen.
    »Na, jetzt gibt er’s ihnen«, sagte jemand neben Warja.
    Fern auf dem Feld krepierten schon Granaten, der über die Erde kriechende Rauch versperrte die Sicht, aber Warjas Kompanie lief immer weiter, sie wurde offenbar nicht beschossen.
    »Los, Semenzow, los«, flüsterte Warja und ballte die Fäuste.
    Bald war »ihre« Kompanie nicht mehr auszumachen. Als der freie Raum vor der Redoute bis zur Mitte mit weißen Feldblusen gefüllt war, fetzten Detonationen mitten in die Menschenmasse hinein, wieder und immer wieder.
    »Die harken gründlich«, hörte Warja. »Die Artillerievorbereitung hat nichts gebracht! Statt sich mit der blöden Psychologie dickezutun, hätte man lieber pausenlos draufhämmern sollen.«
    »Sie laufen! Sie fliehen!« Kasansaki packte Warja an der Schulter und preßte sie heftig.
    Sie warf ihm von unten einen bösen Blick zu, begriff aber, daß der Mann außer sich war. Sie riß sich los und sah aufs Feld. Es war in einen Rauchschleier gehüllt, in dem weiße Feldblusen schimmerten und schwarze Erdklumpen hochflogen.
    Auf dem Hügel war es still geworden. Aus dem graublauen Dunst kam schweigend die Menge gelaufen, umfloß die Beobachtungsstelle auf beiden Seiten. Warja sah rote Flecke auf den Feldblusen und zog den Kopf zwischen die Schultern.
    Der Qualm wurde etwas dünner. Jetzt war das Tal wieder zu sehen, übersät mit schwarzen Granattrichtern und weißen Punkten, Feldblusen. Warja blickte genauer hin und bemerkte, daß die hellen Punkte sich bewegten, und sie hörte ein dumpfes Heulen, das aus der Erde selbst zu kommen schien – das Geschützfeuer war eingestellt worden.
    »Die erste Kraftprobe ist beendet«, sagte der Major, den der Hauptstab den Presseleuten beigegeben hatte. »Osman hat sich verschanzt, er wird uns noch zu schaffen

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