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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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vergaßen, daß sie existierte. Das war eine weitere Bestätigung dafür, daß sich im Mann das tierische Prinzip deutlicher ausprägte als in der Frau, daß die Frau die höher entwickelte Spielart des homo sapiens war, das feinere, kompliziertere Wesen. Es war nur schade, daß sie ihre Gedanken niemandem mitteilen konnte. Wenn die Krankenschwestern so etwas hörten, prusteten sie nur in die Hand, während Fandorin zerstreut nickte und an etwas ganz anderes dachte.
    Kurz und gut, Stagnation und Langeweile.
     
    Am 30. August wurde Warja in aller Frühe von einem ungeheuren Dröhnen geweckt. Die erste Kanonade hatte begonnen. Am Vorabend hatte Fandorin ihr erklärt, außer der üblichen Artillerievorbereitung werde diesmal eine psychologische Methode angewendet – ein neues Wort in der Kriegskunst. Mit dem ersten Sonnenstrahl, als es für die Gläubigen Zeit war, ihr Namas-Gebet zu verrichten, eröffneten dreihundert russische und rumänische Geschütze ein orkanartiges Feuer auf die türkischen Befestigungen. Punkt neun wurde die Kanonade eingestellt. Osman Pascha schickte in Erwartung der Attacke frische Truppen nach vorn, aber nichts geschah: Die Verbündeten rührten sich nicht vom Fleck, und über den Weiten um Plewna herrschte Stille. Punkt elf Uhr brach ein neuer Feuerschlag über die staunenden Türken herein, er dauerte bis eins. Wieder Stille. Der Gegner barg die Verwundeten und Gefallenen, flickte eilig die Zerstörungen, rollte neue Geschütze heran, doch der Angriff ließ noch immer auf sich warten. Bei den Türken, die sich nicht durch Nervenstärke auszeichneten und bekanntlich zu kurzzeitigen Energieleistungen fähig waren, nicht aber zu längeren Anstrengungen, machte sich Verwirrung,vielleicht gar Panik breit. In der vordersten Linie war sicherlich die gesamte moslemische Führung versammelt, guckte durch Feldstecher und begriff nichts. Und da, um vierzehn Uhr dreißig, rollte die dritte Welle der Kanonade los, und nach einer weiteren halben Stunde sahen die vom Warten zermürbten Türken die Sturmkolonnen auf sich zu kommen.
    Warja versetzte sich in die Lage der unglücklichen Verteidiger von Plewna und bekam eine Gänsehaut. Das war ja furchtbar – eine, zwei, drei Stunden auf die entscheidenden Ereignisse zu warten, und ganz umsonst. Sie würde es gewiß nicht ausgehalten haben. Pfiffig ausgedacht, das war den Stabsgenies nicht abzusprechen.
    Wumm-wumm! Wumm-wumm! machten die schweren Belagerungsgeschütze. Wum-wum, wum! echoten etwas schwächer die Feldgeschütze. Das dauert noch, dachte Warja, man müßte was frühstücken.
    Die Journalisten, nicht eingeweiht in den listigen Plan der Artillerievorbereitung, waren noch bei Dunkelheit zu den Stellungen gefahren. Der Standort der Beobachtungsstelle für die Korrespondenten war vorher mit der militärischen Führung abgesprochen worden. Nach langen Diskussionen hatten die Journalisten beschlossen, die Genehmigung für eine Anhöhe zu erbitten, die zwischen Griwiza, dem Zentrum der Stellung, und der Chaussee nach Lowetsch lag, hinter der sich die linke Flanke hinzog. Anfangs hatten die meisten Journalisten näher zur rechten Flanke gewollt, weil der Hauptschlag offenbar von hier aus geführt werden sollte, aber MacLaughlin und d’Hévrais hatten ihre Kollegen umgestimmt. Ihr stärkstes Argument: Die linke Flanke mochte durchaus zweitrangig sein, aber dort hielt sich Sobolew auf, also waren Sensationen zu erwarten.
    Nachdem Warja mit den blassen, bei jedem Schuß zusammenzuckenden Krankenschwestern gefrühstückt hatte, machte sie sich auf die Suche nach Fandorin. Im Stab war der Titularrat nicht, auch nicht in der Sonderabteilung. Für alle Fälle warf Warja einen Blick in sein Zelt, da saß er seelenruhig in seinem Klappsessel, mit dem Saffianpantoffel wippend, ein Buch in der Hand, und trank Kaffee.
    »Wann fahren Sie zur Stellung?« fragte Warja und setzte sich auf das Bett, denn eine andere Sitzgelegenheit gab es nicht.
    Fandorin zuckte die Achseln. Sein Gesicht zeigte frische Röte. Das Lagerleben schien ihm gut zu bekommen.
    »Wollen Sie etwa den ganzen Tag hier sitzen? D’Hévrais hat gesagt, die heutige Schlacht sei der größte Sturmangriff auf eine befestigte Stellung in der ganzen Weltgeschichte. Grandioser als die Einnahme von Malachow Kurgan, dem Hauptfort von Sewastopol.«
    »Ihr d’Hévrais l-lügt immer was dazu«, antwortete der Titularrat. »Waterloo und Borodino waren gewaltiger, ganz zu schweigen von der Völkerschlacht bei

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