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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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ausgerechnet wegen Warja.
    Das erstemal, noch in Kasanlik, machte ein zugereister kleiner Adjutant, der über Warjas Status nicht Bescheid wußte, einen unpassenden Scherz, indem er sie »Herzogin Marlborough« nannte – eine deutliche Anspielung auf den »Herzog Marlborough« Sobolew. D’Hévrais verlangte von dem Frechling eine Entschuldigung, der war betrunken und sträubte sich, und sie gingen hinaus, um sich zu schießen. Warja war nicht im Zelt, sonst würde sie diesen albernen Konflikt natürlich unterbunden haben. Aber es ging glimpflich ab: Der Adjutant schoß fehl, und d’Hévrais’ Gegenschuß riß ihm die Mütze vom Kopf, worauf der Beleidiger nüchtern wurde und sein Unrecht eingestand.
    Das zweitemal war es der Franzose, der gefordert wurde, wieder wegen eines Scherzes, den Warja diesmal recht komisch fand. Sie wurde inzwischen ständig von dem jungen Gridnew begleitet. D’Hévrais bemerkte laut, »Mademoiselle Barbara«gleiche jetzt der Zarin Anna Ioannowna mit dem kleinen Mohren, worauf der Fähnrich, den der finstere Ruf des Korrespondenten nicht ängstigte, sofortige Satisfaktion verlangte. Da Warja zugegen war, kam es nicht zur Schießerei. Sie befahl Gridnew, den Mund zu halten, und d’Hévrais, seine Worte zurückzunehmen. Der Korrespondent bereute sogleich, gab zu, daß der Vergleich unangebracht sei und daß Monsieur le sous-lieutenant eher Herkules gleiche, nachdem der die cerynitische Hirschkuh gefangen hatte. Damit versöhnte man sich.
    Warja gewann manchmal den Eindruck, daß d’Hévrais ihr eindeutige Blicke zuwarf, aber äußerlich benahm sich der Franzose wie ein echter Bayard. Wie die anderen Journalisten war er häufig ein paar Tage an der vordersten Linie, und sie sahen sich jetzt seltener als bei Plewna. Aber einmal kam es zwischen ihnen zu einem Gespräch unter vier Augen, das Warja später Wort für Wort im Gedächtnis rekonstruierte und in ihr Tagebuch schrieb (nach Fandorins Abreise hatte es sie gedrängt, Tagebuch zu führen, wahrscheinlich weil sie nichts zu tun hatte).
    Sie saßen in einer Gebirgsschenke, wärmten sich am Feuer, tranken Glühwein, und der Journalist fühlte sich etwas mitgenommen von der Kälte.
    »Ach, Mademoiselle Barbara, wenn ich nicht ich wäre«, sagte d’Hévrais mit bitterem Auflachen, ohne zu wissen, daß er fast wörtlich den von Warja vergötterten Pierre Besuchow aus »Krieg und Frieden« zitierte, »wenn ich in einer anderen Situation wäre, einen anderen Charakter hätte, ein anderes Schicksal …« Er blickte Warja so an, daß ihr Herz in der Brust zu hüpfen begann wie über ein Springseil. »Ich würde unbedingt in Rivalität zu dem glänzenden Sobolew treten. Wie ist es, hätte ich gegen ihn wenigstens eine Chance?«
    »Natürlich, hätten Sie«, antwortete Warja ehrlich undstutzte – das klang ja wie eine Einladung zum Flirt. »Ich will sagen, daß Sie, Charles, nicht weniger und nicht mehr Chancen hätten als Sobolew. Das heißt, keine. Fast keine.«
    Das »fast« hatte sie doch hinzugefügt. O verhaßte, unausrottbare Weiblichkeit!
    Da d’Hévrais empfindsam wirkte wie noch nie, stellte Warja ihm eine Frage, die sie schon lange interessierte: »Charles, haben Sie eigentlich Familie?«
    Der Journalist schmunzelte. »In Wirklichkeit wollen Sie wissen, ob ich verheiratet bin.«
    Warja war verlegen. »Na, nicht nur. Eltern, Geschwister.«
    Warum eigentlich heucheln, wies sie sich zurecht, das ist eine ganz normale Frage. Und fügte entschlossen hinzu: »Ob Sie verheiratet sind, möchte ich natürlich auch wissen. Sobolew macht kein Hehl daraus, daß er es ist.«
    »Nein, Mademoiselle Barbara. Ich habe keine Frau und keine Braut. Auch noch nie gehabt. Das ist eine andere Lebensweise. Ein paar Affären hatte ich natürlich – das sage ich Ihnen ohne Scheu, denn Sie sind eine moderne Frau ohne Prüderie.« (Warja lächelte geschmeichelt.) »Aber eine Familie … Nur noch meinen Vater, den ich sehr liebe und nach dem ich mich sehr sehne. Er ist jetzt in Frankreich. Irgendwann erzähle ich Ihnen von ihm. Nach dem Krieg, gut? Das ist eine lange Geschichte.«
    Sie war ihm also nicht gleichgültig, aber mit Sobolew zu rivalisieren wünschte er nicht. Wohl aus Stolz.
    Aber dieser Umstand hinderte den Franzosen nicht, freundschaftliche Beziehungen zu Sobolew zu unterhalten. Wenn er davonritt, dann zur Abteilung des Weißen Generals, denn der befand sich ständig bei der Avantgarde der angreifenden Armee, und da war für Zeitungsleute was zu

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