Türkisches Gambit
träumerisch. »Sich in die Polster zurücklehnen, ein Buch aufschlagen, heißen Tee trinken. Draußen huschen die Telegraphenmasten vorbei, die Räder rattern …«
»Ich würde gern eine Fahrt mit Ihnen machen«, sagte Sobolew, »aber leider ist die Strecke begrenzt. Von hier geht es nur nach Konstantinopel.«
»Meine Herren, meine Herren!« rief d’Hévrais. »Das ist eine großartige Idee! La guerre est en fait fini 15 , die Türken schießen nicht mehr! Die Lokomotive hat übrigens eine türkische Flagge! Da könnten wir doch nach San Stefanofahren und wieder zurück! Na, Michel?« Er fiel endgültig ins Französische und geriet immer mehr in Eifer. »Mademoiselle Barbara reist Polsterklasse, ich schreibe eine schicke Reportage, und mit uns fahren ein paar Stabsoffiziere und schauen sich im türkischen Hinterland um. Wirklich, Michel, das ist ein Kinderspiel! Bis San Stefano und zurück! Darauf kommen die nicht! Und wenn – zu schießen trauen sie sich nicht, die Parlamentäre sind ja in Ihrer Hand! Michel, in San Stefano sieht man die Lichter von Konstantinopel ganz aus der Nähe! Dort sind die Stadtrandvillen der türkischen Wesire! Welch eine Chance!«
»Unverantwortlich und abenteuerlich«, fiel ihm Perepjolkin ins Wort. »Ich hoffe, Michail Dmitrijewitsch, Sie haben genug Vernunft, sich nicht verlocken zu lassen.«
Ein unfreundlicher, unangenehmer Mensch ist dieser Perepjolkin, dachte Warja. Sie hatte in den letzten Monaten eine heftige Abneigung ihm gegenüber entwickelt, mochte er als Sobolews Stabschef auch noch so gut sein. Er hatte ja auch allen Grund, sich ins Zeug zu legen – war er doch in weniger als einem halben Jahr vom Hauptmann zum Oberstleutnant aufgestiegen, hatte außerdem ein Georgskreuz eingeheimst und einen Annensäbel für seine Kampfverletzung. Und alles dank Sobolew. Trotzdem guckte er wie ein Wolf, als hätte Warja ihm etwas gestohlen. Er war wohl eifersüchtig, wollte den General für sich allein haben. Wie mochte er es mit Kasansakis abnormer Veranlagung halten? Warja hatte sich einmal im Gespräch mit Sobolew eine giftige Anspielung auf dieses Thema erlaubt, da hatte dieser so lachen müssen, daß er sogar hustete.
Aber diesmal hatte der widerliche Perepjolkin absolut recht. Die »großartige Idee« von d’Hévrais kam ihr aberwitzig vor. Bei der Tafelrunde hingegen fand das übermütige Vorhabenvolle Unterstützung, ein Kosakenoberst hieb dem Franzosen sogar auf den Rücken und nannte ihn »verwegenes Köpfchen«. Sobolew schmunzelte, sagte aber einstweilen nichts.
»Lassen Sie mich das machen, Michail Dmitrijewitsch«, bat der wackere General der Kavallerie Strukow. »Ich setze meine Kosaken in die Waggons, und wir fahren nach Herzenslust. Vielleicht nehmen wir noch einen Pascha gefangen. Das Recht haben wir! Der Befehl über die Einstellung der Kampfhandlungen ist noch nicht da.«
Sobolew warf einen Blick auf Warja, und sie bemerkte in seinen Augen einen besonderen Glanz.
»Nein, Strukow. Adrianopel muß Ihnen reichen.« Der General lächelte räuberisch und erhob die Stimme. »Meine Herren, hören Sie meinen Befehl!« Im Saal wurde es sofort still. »Ich verlege meine Befehlsstelle nach San Stefano! Das dritte Jägerbataillon steigt in die Waggons. Und wenn sie sich drängen müssen wie Heringe in der Tonne, daß mir alle bis auf den letzten mitfahren! Im Stabswaggon fahre ich selbst. Dann kehrt der Zug sofort nach Adrianopel zurück, um Verstärkung zu holen, und befährt diese Strecke regelmäßig. Morgen mittag habe ich dann ein ganzes Regiment bei mir. Sie haben die Aufgabe, Strukow, dort spätestens morgen abend mit der Kavallerie einzutreffen. Bis dahin genügt mir ein Bataillon. Laut Agentenmeldungen gibt es auf unserm Weg keine kampffähigen türkischen Truppen – nur die Garde des Sultans in Konstantinopel, und die muß Abd ul Hamid schützen.«
»Nicht die Türken haben wir zu fürchten, Euer Exzellenz«, sagte Perepjolkin mit knarrender Stimme. »Die Türken werden Sie kaum anrühren, dazu haben sie keine Kraft mehr. Aber der Oberbefehlshaber, der wird Ihnen nicht den Kopf tätscheln.«
»Das steht noch nicht fest, Jeremej Ionowitsch.« Der General kniff ein Auge ein. »Alle wissen, daß Sobolew ein Querkopf ist, darauf läßt sich vieles schieben. Außerdem könnte die Nachricht von der Einnahme der Konstantinopeler Vorstadt, wenn sie mitten in den Verhandlungen eintrifft, Seiner Kaiserlichen Hoheit sehr zupaß kommen. Man wird uns laut beschimpfen,
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