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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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holen.Am Mittag des 8. Januar schickte Sobolew eine erbeutete Kutsche mit einer Kosakeneskorte, um Warja in das soeben eingenommene Adrianopel einzuladen. Auf dem weichen Ledersitz lag ein Armvoll Treibhausrosen. Mitja Gridnew ordnete diese Vegetation zu einem Strauß, zerriß sich an den Dornen seine neuen Handschuhe und war sehr verdrossen. Warja tröstete ihn während der Fahrt und versprach ihm aus Übermut die ihrigen (der Fähnrich hatte kleine Hände wie ein Mädchen). Mitja runzelte die weißlichen Brauen, schniefte beleidigt und schmollte eine halbe Stunde lang, wobei er mit den langen dichten Wimpern klapperte. Diese Wimpern sind wohl das einzige, womit der schwächliche Junge Glück gehabt hat, dachte Warja. Sie sind wie die von Fandorin, nur hell. So wanderten ihre Gedanken ganz natürlich zu dem Mann, der sich irgendwo herumtrieb. Wenn er doch bald zurückkäme! Mit ihm war es … Ruhiger? Interessanter? Das ließ sich nicht so genau sagen, aber besser war es bestimmt.
    Als sie ankamen, dämmerte es bereits. Die Stadt war still geworden, in den Straßen zeigte sich keine Menschenseele, nur die Hufe der berittenen Patrouillen klackerten über das Pflaster, und auf der Chaussee wurde polternd Artillerie herangeführt.
    Der Stab war provisorisch im Bahnhofsgebäude untergebracht. Schon von weitem hörte Warja bravouröse Musik – ein Blasorchester spielte »Ruhm dir«. Sämtliche Fenster des neuen, im europäischen Stil erbauten Gebäudes waren erleuchtet, auf dem Bahnhofsvorplatz brannten Lagerfeuer, die Schornsteine der Feldküchen qualmten. Am meisten beeindruckte Warja, daß am Bahnsteig ein ganz gewöhnlicher Personenzug hielt. Die Lokomotive stieß schnaufend Dampf aus, als gäbe es keinen Krieg.
    Im Wartesaal wurde natürlich gefeiert. Rund um eine aus verschiedenen Tischen zusammengeschobene Tafel mit einfachen Speisen, aber vielen Flaschen tafelten die Offiziere. Als Warja und Gridnew hereinkamen, schmetterten eben alle mit erhobenen Gläsern ein »Hurra«, dem Tisch zugewandt, an dem der Kommandeur saß. Der berühmte weiße Uniformrock des Generals kontrastierte mit den schwarzen Monturen der Armee und den grauen der Kosaken. Neben Sobolew saßen am Ehrentisch die ranghöchsten Heerführer (Warja kannte lediglich Perepjolkin) und d’Hévrais. Alle hatten fröhliche, gerötete Gesichter, also wurde schon eine Weile gefeiert.
    »Warwara Andrejewna!« rief Achilles aufspringend. »Ich bin glücklich, daß Sie es möglich gemacht haben! Ein ›Hurra‹, meine Herren, auf die einzige Dame!«
    Alle standen auf und brüllten so ohrenbetäubend, daß Warja erschrak. Noch nie war sie so lautstark begrüßt worden. Hätte sie die Einladung lieber nicht annehmen sollen? Baronesse Wrejskaja, die Chefin des Feldlazaretts, hatte ihre Schäfchen gewarnt: »Mesdames, halten Sie sich von den Männern fern, wenn die erhitzt sind vom Kampf oder, schlimmer, vom Sieg. In ihnen erwacht dann atavistische Wildheit, jeder Mann, sei er selbst Absolvent des Pagenkorps, verwandelt sich zeitweilig in einen Barbaren. Am besten, die Männer bleiben unter sich. Wenn sie etwas abgekühlt sind, nehmen sie wieder zivilisierte Züge an und werden kontrollierbar.«
    Aber außer übertriebener Galanterie und ungewöhnlich lauten Stimmen nahm Warja bei ihren Tischnachbarn nichts besonders Wildes wahr. Man hatte ihr den ehrenvollsten Platz zugewiesen, rechts von Sobolew. Auf der anderen Seite saß d’Hévrais.
    Nachdem sie Champagner getrunken und sich etwas beruhigt hatte, fragte sie: »Michel, sagen Sie, was ist das da für ein Zug? Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich das letztemal eine Lokomotive auf den Gleisen stehen sah und nicht unterhalb der Böschung liegen.«
    »Sie wissen es also noch nicht!« rief ein junger Oberst, der außen am Tisch saß. »Der Krieg ist zu Ende! Heute sind aus Konstantinopel Parlamentäre eingetroffen! Mit der Eisenbahn, wie im Frieden!«
    »Und wie viele Parlamentäre sind es?« fragte Warja verwundert. »Ein ganzer Zug voll?«
    »Nein, Warja«, erklärte Sobolew. »Nur zwei. Aber die Türken waren so verstört über den Fall von Adrianopel, daß sie, um keine Minute zu verlieren, den Stabswaggon einfach an einen Personenzug angekuppelt haben. Ohne Fahrgäste natürlich.«
    »Und wo sind die Parlamentäre?«
    »Ich habe sie mit Kutschen zum Großfürsten geschickt. Die Gleise sind ab hier gesprengt.«
    »Ach, ich bin schon hundert Jahre nicht mit der Eisenbahn gefahren«, seufzte sie

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