Türme Der Dämmerung
weiteren zwei Liedern steht Creslin auf und schüttelt die Hände. »Ich gebe die Gitarre jedem, der …«
Einen Augenblick lang fürchtet er, niemand würde sich melden, doch dann tritt eine schlanke Gardistin aus Westwind vor und nimmt die Gitarre. Er setzt sich an den leeren Tisch zwischen beiden Gruppen.
Die junge Frau spielt gut und hat auch eine angenehme Stimme. Sie stimmt eine alte Ballade an.
Eine andere Frau schenkt Creslin Rotbeerensaft ein. Er merkt, dass er keine Münzen dabei hat.
»In Eurer eigenen Schenke braucht Ihr nicht zu bezahlen, Herr«, erklärt die Frau lächelnd. »Besonders nicht nach so schönen Liedern.«
Megaera und Shierra setzen sich mit ihren Stühlen neben ihn. Megaera winkt Hyel. Sofort eilt er herbei und nimmt links von Creslin Platz.
»Ich wusste nicht, dass du singen kannst.« Megaeras Worte klingen wie eine Anklage.
»Bis jetzt hatte ich nie Gelegenheit dazu. Außerdem hatte ich nicht den Eindruck, dass dir daran etwas liegen könnte.« Creslin lässt die Augen nicht von der jungen Gardistin.
»Fiera hat erzählt, dass die Wachen auf dem Korridor sich vor seine Tür schlichen, wenn er übte«, fügt Shierra hinzu. Ihre Stimme klingt wärmer, als Creslin sie je zuvor gehört hat.
Fiera? Shierra? Sind die beiden verwandt? Warum kommt ihm die ältere Frau so seltsam vertraut vor? »Fiera?« fragt er schließlich. »Ist sie deine …?«
»Meine jüngste Schwester. Sie hat viel von dir erzählt, wahrscheinlich zuviel.«
»Wie geht es ihr?«
Megaera richtet sich kerzengerade auf, doch Creslin beachtet sie nicht.
»Sie ist mit der Abteilung nach Sarronnyn gegangen und wird im Lauf des Jahres zurückberufen.«
»Woher habt Ihr die Gitarre?« fragt Hyel.
»Sie gehört mir. Ich hatte sie … zurückgelassen. Lydya, die Heilerin, hat sie mitgebracht. Meine Schwester Llyse dachte, sie würde mir Freude machen.«
»Du hast nie öffentlich gespielt?« Shierra lächelt, als kenne sie die Antwort.
»Nein. Ich hatte zu große Angst, doch manchmal hilft Musik. Das zweite Lied, das mit der Taube, hat mich wohl vor den Weißen Magiern beschützt.«
»Du hast nicht gerade verängstigt geklungen«, gibt Megaera kühl zurück.
»Das hätte nicht viel geholfen«, erwidert er langsam. »Außerdem zeigt niemand, der in Westwind geboren wurde, seine Angst. Nicht, wenn er es verhindern kann.«
Megaera blickt die Hauptmännin der Garde an.
Shierra nickt. »Angst zu haben wird geduldet, nicht aber, dass sie die Taten beeinflusst. Das ist ein Grund, warum die Garde von Westwind oft erfolgreicher ist, als es Männer sind. Männer verbergen ihre Angst hinter nassforschem Gehabe oder unklugen Attacken. Unsere Garde hat gelernt, die Ängste zu erkennen und dann beiseite zu schieben.«
Hyel zieht bei der Bemerkung über maßforsches Gehabe die Brauen hoch und nimmt einen kräftigen Schluck aus seinem irdenen Humpen.
An den anderen Tischen klatschen Frauen und Männer im Rhythmus des Liedes mit.
LXXXV
C reslin steht auf. Obgleich seine Finger und Schultern schmerzen, zwingt er sich zu lächeln. »Jetzt muss ich ein bisschen schlafen.«
Lydya und Klerris wechseln Blicke, doch Hyel sagt:
»Ich hoffe, Ihr spielt wieder für uns. Das war wirklich ein Genuss, fast allen hat es großartig gefallen.«
Creslin packt die Gitarre ein. Zwar sitzen Garde und Söldner aus Montgren noch getrennt an den Tischen, aber sie mustern einander wenigstens nicht mehr so feindselig.
»Ich hoffe auch, dass du wieder spielst«, meint Shierra.
»Ich muss mit dir sprechen«, sagt Megaera leise, doch eindringlich.
»Jetzt?«
»Oben im Haus. Ich komme bald.« Immer noch ist sie so blass. Unwillkürlich macht er sich Sorgen, dass sie sich zuviel abverlangt.
»Hör sofort auf, bitte …«
Klerris tritt zu ihr. »Hast du einen Augenblick deiner Zeit für mich übrig, Megaera?«
»Oh … kann das nicht bis morgen warten?«
»Ich glaube nicht.«
Creslin verlässt den Schankraum. Draußen hält Lydya ihn auf.
»Creslin …«
»Ja?«
»Macht es dir etwas aus, wenn ich dich ein Stück des Weges begleite? Es gibt einige Dinge, die du wissen solltest.«
Das klingt nicht gut. »Nein, komm nur. Wo habe ich wieder mal versagt?«
»Versagt?«
»Du und Klerris sprecht mit mir in letzter Zeit nur, um mir den nächsten Fehler aufzuzeigen.«
»Wenn es nicht ernst ist, nimmst du dir nie Zeit zuzuhören.« Ihre Stimme klingt halb tadelnd, halb amüsiert.
»Das habe ich wohl verdient. Und worum geht es
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