Türme Der Dämmerung
dann geschieht. Du handelst einfach, ganz gleich, wie andere fühlen. Du machst dir nie Gedanken, was andere Menschen fühlen, obgleich du es spürst.« Ihre brennenden Augen bohren sich in seine.
»Du hast recht«, räumt er ein. »Ich handle immer noch, ehe ich alles durchdacht habe.«
»Angeblich bin ich mit dir verheiratet, teurer Gatte, doch weiß ich nicht, dass du Liebeslieder singen kannst, die Frauenherzen dahinschmelzen lassen. Oder Marschlieder. Du hast dir nie die Mühe gemacht, mir das zu erzählen.«
Er schluckt und sagt nicht, dass sie ihm selten Zeit gegeben hat, ihr etwas zu erklären. »Ich nehme an, du hast recht. Vielleicht hatte ich Angst, du würdest mich auch deshalb herabsetzen.«
»Den großen Creslin herabsetzen? Der Himmel möge das verhüten.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass du so fühltest. Du weißt, was ich fühle. Das trifft umgekehrt nicht zu.«
»Was immer du heute Abend getan hast, du solltest damit weitermachen – mehrere Jahre lang.« Sie will an ihm vorbeigehen.
Er hält die Hand hoch, berührt sie jedoch nicht.
Sie bleibt stehen. »Und?«
»So können wir nicht weitermachen, Megaera.«
»Das sage ich dir doch schon, seit du im Schloss meines lieben Vetters aufgewacht bist.«
»Na und? Ich begreife eben langsam.«
»Ich bin müde. Es war ein langer Tag. In letzter Zeit waren alle Tage für mich sehr lang. Was schwebt dir vor? Willst du mich aufs Bett werfen und es Liebe nennen? Glaubst du, dass das alle Probleme löst?«
Creslin atmet langsam aus. »Nein. Etwas … wie Freundschaft. Nicht die grausamsten Worte gebrauchen, wenn wir einander grollen. Oder dass ich nachdenke, wie meine Taten auf dich wirken …«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht. In diesem Augenblick magst du so empfinden, doch wie wird es morgen sein? Oder übermorgen?«
»Das weiß ich nicht. Aber könnten wir es nicht versuchen?«
»Du versuchst es. Ich warte ab. Gute Nacht.«
Er gibt ihr den Weg frei.
»Gute Nacht.«
Noch einen Augenblick bleibt er stehen, dann geht er in sein Gemach, zieht sich aus, löscht die Lampe und streckt sich auf dem Bett aus, das kaum weicher als der Steinboden wirkt, auf dem es steht.
Dann lauscht er den unsichtbaren Insekten und Fröschen und fragt sich, ob er je lernen wird, erst zu denken und dann zu handeln. Die Augen werden ihm schwer.
Gute Nacht, Megaera, denkt er.
Hört sie seinen Wunsch? Er dreht sich auf den Bauch und bemüht sich, die Spannung in seinem Inneren nicht zu beachten. Tot noch vor dem Herbst?
LXXXVI
C reslin erwacht früh, nicht lange, nachdem die Sonne über die Wellen am östlichen Horizont gestiegen ist. Er kann noch eine Zeitlang an den Mauern arbeiten, ehe er mit Megaera zu dem Treffen mit Shierra, Hyel, Klerris und Lydya in die Feste geht.
»Der inoffizielle Hohe Rat von Recluce …«, murmelt er vor sich hin.
Er zieht die alten Fischerhosen an, die Arbeitsstiefel und das kurzärmelige grüne verblichene Hemd.
Aus dem Raum, der eines Tage die Küche sein wird, holt er sich altes Brot. Richtiges Frühstück wird es in der Feste geben. Aus der Zisterne füllt er einen Krug mit kaltem Wasser. Die Luft ist noch frisch, doch verheißt der wolkenlose Himmel einen heißen Tag.
Megaera schläft wohl noch, deshalb arbeitet er nicht mit Hammer und Meißel, sondern schleppt Steine herbei und stapelt sie auf. Nach einiger Zeit wischt er sich den Schweiß von der Stirn. Dieser Tag wird vielleicht der heißeste dieses Frühsommers werden.
»Du bist früh auf.« Die Rothaarige lehnt sich aus dem Fenster. Ihre Locken sind zerzaust. Sie trägt ein verblichenes blaues Gewand.
»Ich habe mich bemüht, keinen Lärm zu machen.«
»Ich weiß deine Rücksichtnahme zu schätzen. Falls ich je eines Tages vor dir aufwache, werde ich dir den Unterschied zwischen deiner Ruhe und echter Ruhe zeigen.«
»Falls du je so früh aufstehst.«
»Einige von uns haben nicht den Wunsch, die Sonne zu begrüßen. Treffen wir uns heute Morgen mit den anderen?«
»Ich wasche mich schnell.«
Nachdem Megaeras Kopf verschwunden ist, legt er einen Stein auf den Block und schwingt den Hammer.
Dann passt er den behauenen Stein so in die Mauer ein, dass kein Haar zwischen ihm und dem Stein darunter passt. Er wünschte, er wäre in schöpferischen Arbeiten wie Schreinerei oder Steinmetzwerk geschickter, nicht nur in ätherischen Künsten wie Musik oder dem Führen der Klinge oder des Bogens.
Als er den Waschraum betritt, sind die Steine noch nass, doch
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