Türme Der Dämmerung
jetzt?«
»Megaera«, erklärt die Heilerin. »Heute Abend hast du sie tief erschüttert. Wieder einmal.«
»Wieder einmal? Alles, was ich tue, missfällt ihr. Spreche ich mit ihr, ist es nicht recht. Sage ich nichts, auch nicht.«
»Creslin.«
»Ja?«
»Megaera ist deine Ehefrau.«
»Dem Namen nach vielleicht, sonst nicht.«
»Hast du je nach dem Grund gefragt?«
»Nein, weil es unmissverständlich so ist, weil sie es so will.«
»Hast du ihr je gesagt, dass du sie liebst?«
»Tue ich das?«
Lydya schnaubt verächtlich.
»Schon gut, aber es ist hoffnungslos. Jedes Mal, wenn ich sie anschaue, begehre ich sie. Sie spürt das sofort und weist mich empört zurecht.«
»Richtig. Erinnerst du dich daran, was du jedes Mal empfunden hast, wenn du durch die Große Halle in Westwind gegangen bist?«
Creslin schluckt.
»Nun … du wusstest nicht, was die Frauen der Garde fühlten. Du hörtest lediglich die Worte. Wie hättest du dich gefühlt, wenn du jeden Gedanken hinter jedem Wort erraten hättest?«
Der Tonfall der Heilerin ist so kalt wie die Sterne des Nordens – und ebenso weit entfernt. Dennoch schneiden sie wie Klingen in seinen Leib. Er vermag nichts zu erwidern. Seine Augen brennen.
»Ja, sie ist deine Ehefrau. Und aufgrund Ryessas Einmischung ist sie deine Frau im unglücklichen alten Sinn dieses Wortes. Von dir hat sie bislang nur wenige warme Worte gehört. Nie hast du ihr den Hof gemacht, und ständig begehrst du sie – lüstern. Wie kann sie sich dir dabei nahe fühlen? Zeigst du ihr so, dass du sie liebst?«
Creslin zuckt unter den Worten der Heilerin zusammen, doch sie fährt ungerührt fort – wie die Eiswinde, die er vom Dach der Welt herbeizurufen vermag.
»… bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, führst du ihr eine neue Fähigkeit vor. Heute Abend war es besonders schmerzlich. Du hast Lieder über Liebe und Hass gesungen, lustige Lieder und Kriegslieder. Deine Seele lag offen da. Du hast deine Seele für Menschen aufs Spiel gesetzt, die du kaum kennst und denen du eigentlich nichts schuldest. Doch für die Frau, die du angeblich liebst, hast du noch nie gesungen. Wie muss sie sich da fühlen?«
»Nicht sehr gut.«
»Da hast du recht.« Lydyas Stimme klingt weicher. »Falls du jedoch heute Abend mit einem schlechten Gewissen zu ihr kommst, reißt sie dir den Kopf ab – und das verdienst du.«
»Was soll ich tun? Abgesehen davon nachzudenken.«
»Du hörst dir jedes böse Wort von ihr an und denkst anschließend darüber nach. Und du wirst ihr auf gar keinen Fall böse Widerworte geben. Du wirst dich nicht überlegen verhalten, und auch nicht schuldbewusst. Und heute Abend wirst du keinerlei Zugeständnisse machen. Du wirst ihr in geziemender Weise erklären, dass du ehrlich nicht wusstest, wie sie fühlte, und dass du das gutmachen willst, indem du sie in den nächsten Tagen wie eine Freundin behandelst.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Wenn du es nicht kannst, werdet ihr beide noch vor Ende dieses Sommers sterben.« Lydya bleibt stehen. »Gute Nacht, Creslin.«
Ihre Schritte sind so leise, dass sie im Zirpen der Insekten und im Rauschen der Meereswellen untergehen.
Creslin geht langsam und nachdenklich zum schwarzen Haus hinauf und zündet dort die Lampen in ihren beiden Gemächern an.
Dann lässt er die Tür offen stehen, stellt sich ans Fenster und wartet. Die Nachtluft ist kühl, doch nicht so kalt wie die in den wärmsten Sommernächten auf dem Dach der Welt.
Die Lampen brennen, doch Megaera kommt nicht. Hat sie sich entschieden, die Nacht bei der Garde von Westwind zu verbringen? Hat er sich derartig gefühllos ihr gegenüber verhalten?
Er geht auf die Terrasse und schickt seine Sinne zu den sanften Winden hinaus, die vom Meer zu den Klippen heraufwehen. Doch dann spürt er ihr Kommen und tritt schnell in den großen Raum.
Er öffnet die Tür, als sie die Hand auf den Türgriff legt. »Guten Abend. Ich wollte mich vergewissern, dass du sicher heimkehrst.«
»Wer würde sich meinetwegen Sorgen machen?«
»Niemand, denke ich. Ich musste nur etwas sagen. Du wolltest doch mit mir reden.«
»Das ist unwichtig. Du hast zuvor auch nie zugehört. Warum solltest du es jetzt tun?«
»Ich höre dir aber zu.« Er schließt die Tür hinter ihr. Licht strömt aus ihrem Gemach auf den Korridor.
»Ja, nach einer erneuten Eroberung fällt es gewiss leichter zuzuhören.« Sie blickt an ihm vorbei.
»So habe ich es nicht gemeint.«
»Du meinst nie etwas so, wie es
Weitere Kostenlose Bücher