Türme Der Dämmerung
Dann ist die Mauer wieder geschlossen.
»Das ist alles, gehen wir zurück.«
Narran blickt auf Creslin und dann auf die dunklen Regenwolken am Himmel. Creslin beachtet seine Blicke nicht, sondern geht weiter auf dem Pfad zur Feste. Er ist bis auf die Haut durchnässt, aber zu erschöpft, um den Regen von sich fortzuweisen.
»Du siehst aus wie ein Ungeheuer, das man aus dem Schlamm gezogen hat.« Hyel wirft Creslin ein Handtuch zu. »Musstest du die Reparaturen eigenhändig ausführen?«
»Ja. Ich habe diese Schweinerei verursacht, erinnerst du dich? Was würden die Männer und Frauen denken, wenn ich nur sie hinaus in den Regen schickte?«
»Nichts. Sie würden ihre Arbeit tun.«
Creslin trocknet sich Gesicht und Hände ab. »Ich gehe hinauf in die Residenz. Viel muss nicht mehr getan werden, aber im strömenden Regen und in der Dunkelheit habe ich keine Lust, weiter an der Mauer zu arbeiten.«
»Niemand hat verlangt, dass du im Regen arbeitest.« Shierra betritt den Raum, den sie und Hyel als Befehlshaber des kleinen Heeres von Recluce teilen.
»Du klingst wie Megaera.«
Shierra lacht. »Auf sie hörst du wenigstens.«
»Ich wollte nicht, dass der Regen die Erde auf unseren Feldern fortspült. Warum ist das so schwierig zu begreifen?«
Hyel und Shierra wechseln einen vielsagenden Blick. »Nun«, beginnt Hyel. »Du hast dir schlichtweg zuviel abverlangt. Hättest du gelegentlich eine Frage gestellt, anstatt ein abschreckendes Beispiel zu sein … Wie auch immer, würdest du darüber nachdenken?«
Shierra nickt.
»Da ihr beiden euch einig seid, werde ich darüber nachdenken müssen.« Creslin faltet das Handtuch zusammen und legt es aufs feuchte Fensterbrett. »Und jetzt gehe ich nach Hause.«
Hyel und Shierra lächeln, doch Creslin, in der nassen Kleidung, findet das keineswegs lustig. »Ich sehe euch morgen.«
»Vola steht gesattelt bereit«, erklärt Shierra.
»Danke.« Creslin nickt und geht.
Eine junge dunkelhaarige Frau aus der Garde reicht Creslin die Zügel. »Guten Abend, Regent Creslin.«
»Guten Abend.«
Der Regen fällt noch stärker als zuvor. Im Graben neben der Straße ist das Wasser zu einem reißenden Fluss geworden, der sich zwei Ellen tief in den Boden gegraben hat.
Bei der Schwarzen Residenz steigt Creslin ab. Vola schüttelt das Wasser ab. Er legt seine Jacke über eine halbhohe Trennwand im Stall.
Er nimmt den Sattel ab und hängt ihn über den Pflock. Dann striegelt er die Stute.
»Warum?« fragt er sich. Warum bewirkt er immer überzogene Ergebnisse, wenn er sich ins Wetter einmischt? Soviel Regen wie im letzten Achttag hatte Recluce nicht gebraucht.
»Ich habe mich bemüht, vorsichtig zu sein«, sagt er leise.
Während er die Stute striegelt, schickt er seine Sinne aus. Megaera, Aldonya, Lynnya und Lydya sind in der Küche. Einen Augenblick lang wabert Schwärze vor ihm, er muss sich an der Wand festhalten.
Nach dem Striegeln legt er der Stute noch etwas Getreide in den Futtertrog, nimmt seine Jacke und verlässt den Stall.
Gleich hinter dem Eingang hängt er die nasse Jacke auf den Pflock. Daneben hängt Megaeras ebenfalls nasse Jacke. Nach einem Blick auf die lehmverschmierten Stiefel zieht er diese auch noch aus und geht barfuss in die warme Küche.
»Seid gegrüßt.«
»Sei gegrüßt, Creslin.« Lydya steht mit einem heißen Getränk neben dem kleinen Herd aus Steinen, den Aldonya von irgendwoher besorgt hat. Megaera hält Lynnya auf dem Schoß, und Aldonya schneidet die langen grünen Wurzeln.
»Wieder Quilla?«
»Quilla ist gut für Euch. Selbst große und mächtige Magier müssen essen.« Aldonya hebt das Messer.
»Bekämest du lieber Algen?« fragt Megaera.
»Wenn ich die Wahl zwischen schwammigen Wurzeln und glitschigen Algen habe …« Creslin schüttelt den Kopf. »Und überhaupt, ich bin hoffnungslos überstimmt.«
»Ach, das fällt dir erst jetzt auf, Liebster?«
Creslin schaut an Megaera vorbei durchs Fenster in die Dunkelheit. Immer noch fällt der Regen. Dann nimmt er sich einen Becher. »Glaubt ihr, dass wir am Ende doch noch die Obstgärten retten?«
»Birnenäpfel vertragen viel Trockenheit.« Lydya trinkt einen Schluck.
»Warum setzt du dich nicht?« bemerkt Megaera.
Creslin nimmt Platz und ist für die Wärme dankbar.
CXIV
D ie Marschallin liest die Schriftrolle auf dem Schreibtisch. Dann blickt sie zum Fenster, an dem sich noch kein Eis gebildet hat, obgleich es bereits Herbst ist. In den meisten Jahren bildeten sich Eisblumen
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