Türme Der Dämmerung
Menschen wollen große Taten sehen, und ich zerbreche mir den Kopf, wie das Geld für die nächsten beiden Jahreszeiten reichen soll; denn das, was Fiera herbrachte, wird bald ausgegeben sein.«
»Die Schatzkiste war noch recht voll.«
»Ja, aber wenn ich keine Werkzeuge und Metall für die Glasarbeiten kaufe, werden wir uns niemals selbst erhalten können und in zwei Jahren verhungern. Gebe ich jedoch das Geld nicht für unsere Zukunft aus, verhungern wir vielleicht schon im nächsten Winter.« Creslin zuckt die Achseln. »Es ist wie das Jonglieren mit scharfen Messern.«
»Warum die Brennerei für den Grünbeerensaft?«
»Ich dachte, ich hätte das erklärt. Nein?« Creslin tritt ans Fenster. »Branntwein kannst du immer und überall verkaufen, besonders wenn die Qualität gut ist. Bei Wolle verhält es sich ebenso, vor allem wenn du sie nach Nordla verkaufst. Im Augenblick haben wir keine Handelsmöglichkeiten, wegen des Handelserlasses der Weißen.«
»Du willst also Erzeugnisse entwickeln, die bare Münze bringen?«
»Ja, habe ich das nicht auch erklärt?«
»Vielleicht habe ich nicht zugehört. Der Bau einer Brennerei schien mir unsere Handelsprobleme nicht zu lösen.«
»Wird er auch nicht. Aber er wird uns eine Zeitlang weiterhelfen.«
»Du hast mich schon wieder verwirrt«, gesteht die ehemalige Anführerin der Garde ein.
»Unsere Einwohnerzahl ist immer noch gering. Die dreißig oder fünfzig Goldstücke, die wir vielleicht in einer Jahreszeit aus dem Verkauf des Branntweins erhalten, reichen für genügend Essen, damit keiner verhungert. Doch was geschieht, wenn wir hier in zwei Jahren vielleicht tausend Menschen mehr haben?«
»Das wird nie geschehen.«
Creslin blickt sie scharf an. »Entweder haben wir in zwei Jahren dreitausend oder noch mehr Menschen auf Recluce, oder wir sind tot. Mit weniger können wir nicht überleben. Jetzt kommen mit jedem Schiff fast vierzig Neulinge.« Er wartet. »Ich muss gehen. Sagst du Hyel wegen Gidman Bescheid?«
»Ja, samt deiner Erklärung. Und Fiera ebenso.«
»Wie geht es ihr? Ich denke oft an sie, aber sie scheint mir aus dem Weg zu gehen, sogar auf dem Übungsfeld.«
»Sie hat das Gefühl, versagt zu haben. Nichts, was du im Augenblick sagen könntest, hilft ihr. Doch früher oder später wird sie sich auch dir stellen müssen.«
»Weißt du, dass ich einmal eine Zeitlang von ihr geträumt habe?«
»Ja, ich weiß es. Sie auch – und Megaera ebenfalls. Doch das geschah in einer anderen Welt.«
Creslin nickt. Die Worte ›Das geschah in einer anderen Welt‹ hallen in seinem Kopf nach, als er zum Stall geht. In weniger als zwei Jahren hat sich ganz Candar verändert. Doch ist das nur aufgrund seiner und Megaeras Taten geschehen?
Er betritt den Übungshof. Ein ihm bekannter Blondschopf verschwindet schnell in den neu errichteten Unterkünften der Garde.
»Guten Tag, Euer Gnaden.« Eine junge Frau der Garde salutiert mit dem Übungsstab.
»Guten Tag.« Seine Augen hängen an dem Eingang, in dem Fiera verschwunden ist. Dann schreitet er über die Steinplatten, als befände er sich im dichten Wald der Westhörner, als würde er die Türme der Dämmerung gegen die Dämonen des Lichts verteidigen.
Selbst die Stute Vola erzittert, als er sie sattelt, als wäre er ein Sturm auf zwei Beinen, mit Blitzen anstelle von Schwertern.
Als er die Schwarze Residenz erreicht, ist er ruhiger geworden und klopft der Stute den Hals.
»So schlimm ist es nicht«, flüstert er Vola ins Ohr. »Wir müssen nur den Rest der Welt in einer Jahreszeit erneuern.« Dann gibt er ihr einen der wenigen Haferkuchen, die sich noch in der Futterkiste befinden. »Hier, genieße ihn. Es könnte der letzte für eine lange Zeit sein.«
Er spürt, dass Megaera in der Küche ist, und geht hinein.
»Verzeihung, Euer Gnaden, aber könnt Ihr irgendetwas wegen des Brotes tun?« fragt Aldonya. Sie rührt in einem großen Topf die Suppe um.
»Was ist mit dem Brot?« fragt er.
»Wir haben keins mehr, und anscheinend weiß niemand, wann es wieder welches geben wird.«
»Ich weiß es auch nicht. Die Morgenstern kommt frühestens in zwei Achttagen, aber womöglich hat Freigr bei der furchtbaren Dürre in Candar kein Mehl bekommen können. Lydya meint, wir könnten den ersten Mais in zwei oder drei Achttagen ernten. Doch muss er getrocknet werden, ehe man ihn mahlen kann.«
»Wir haben nicht einmal Maismehl? Was für ein trauriger Tag, wenn selbst für die Reichen Maismehl zu teuer
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