Türme Der Dämmerung
wundersame Weise ist es ihm tatsächlich gelungen, die Handelsstraße nach Gallos zu finden. Zumindest glaubt er, dass es sich um diese Straße handelt. Er befreit seine Hände aus den dicken Handschuhen und trinkt Schneewasser aus seiner Flasche. Anschließend kniet er sich auf seine Skier und füllt die Flasche mit sauberem Schnee.
Nachdem er sich wieder aufgerichtet hat, streicht sich Creslin über den ungleichmäßig wachsenden Bart; silbern wie auch sein Haar, so vermutet er, denn einen Spiegel hat er nicht bei sich. Mit einem Seufzer zieht er sich die Handschuhe wieder an.
Gegen Abend dürfte er die Straße erreichen. Doch dann fangen seine Probleme erst richtig an. Die Straße liegt zwar außerhalb der Kontrolle der Marschallin, doch er muss sich vor den Frauen der Garde hüten, die sie ausgeschickt hat, um nach einem jungen Burschen mit silberblondem Haar zu suchen. Noch ist er kein richtiger Mann. Dessen ist er sich bewusst.
Creslin wirft einen letzten Blick hinter sich, wo dicke Wolken das Dach der Welt verhüllen. Dann gleitet er abwärts ins Tal, der Straße entgegen.
Nach vorn gebeugt und ständig das Gewicht verlagernd, späht er voraus und versucht die rauen Passagen vorauszusehen. Selten nur muss er abschwingen, denn der schwere Schnee bremst die Holzskier ohnehin sehr stark. Mit jedem Meter entfernt er sich weiter von Schloss Westwind und von einer Zukunft an der Seite der Sub-Tyrannin von Sarronnyn. Nach einigen Schwüngen, einigem Schwanken und Taumeln und einem Sturz – der einen vom linken Bein bis hinauf zur Schulter reichenden Wasserfleck auf der Lederkleidung zurücklässt – gleitet und schwingt er keuchend durch Schnee und dicker werdendes Gebüsch, bis er die Baumlinien erkennt, die die Straße kennzeichnen.
Skier und Schnee werden immer schwerer, immer öfter kratzen die Skier über Zweige, Nadeln oder anderen Unrat unter dem Schnee. Er bleibt stehen und wischt sich mit dem Handschuh über die Stirn. Sein Wollunterhemd ist völlig durchnässt, allerdings mehr vom Schweiß als vom Schnee. Da in den Bäumen kein Wind weht, ist der Tag ungewöhnlich warm.
Das Gelände steigt wieder an, einen Hügel hinauf, wo Creslin die Straße vermutet. Seufzend setzt er seinen Weg fort und steigt aufwärts. Hier stehen die Bäume weiter auseinander, so dass Eisflächen entstehen konnten, die Äste und Zweige sind mit einer Eisschicht überzogen.
Um sich den Aufstieg nicht zu erschweren, schnallt er sich die Skier ab. Befreit vom Druck der Lederriemen, wackelt er mit den Zehen und streckt die Beine aus. Er will die Skier tragen, bis er sicher weiß, ob wirklich die Straße dort oben am Kamm verläuft. Leichtfüßig marschiert er über die Schneedecke, aber schon wenige Schritte weiter sinkt er durch die verkrustete Oberfläche bis zu den Knien im Pulverschnee ein.
Nach all den Anstrengungen erreicht er schließlich schwer atmend die ebene Fläche auf dem Hügel. Die Straße, die er von den weit hinter ihm liegenden Hügeln aus erspäht hat, verläuft keine zwanzig Ellen von ihm entfernt. Creslin setzt die Skier ab und überlegt.
Zuerst löst er die Lederriemen von den Skiern, wickelt sie zu einem Knäuel zusammen und verstaut dieses in seinem Bündel. Dann versteckt er die Skier unter einigen Ästen, damit sie ihn nicht verraten. Das Schwert lässt er in der Scheide, die auf sein Bündel geschnallt ist.
Zehn Ellen vor der Straße steht er bis zu den Knien im Schnee, der längst geschmolzen wäre, würden nicht Kiefern ihn beschatten.
Das Zwitschern eines ihm unbekannten Vogels – denn Vögel gibt es auf dem Dach der Welt wirklich nicht viele – dringt durch die nackten Äste der Eichen und die grünen Nadeln der Kiefern.
Mit dem Echo des fröhlichen Gezwitschers in den Ohren betritt er die Straße – sofern man das als Straße bezeichnen kann: zwei tiefe Rillen im Lehm und dazwischen schmutziger Schnee. Die Lehmrillen deuten auf Sonnenlicht hin, das auf die Spuren zweier Wagenräder geschienen haben muss; beide sind fast eine Elle breit. Der Schnee in der Mitte weist alte Fußtritte auf.
Creslin betrachtet die Straße und die Fußabdrücke, es war nur ein Wagen und ein Reiter, vielleicht noch ein paar Fußgänger; alle zogen nach Westen, was jedoch schon einige Tage her ist.
Wenigstens ist es ein schöner Tag, und der Marsch auf dem kalten, harten Lehmboden bietet eine willkommene Abwechslung zu dem mühsamen Stapfen im Schnee in den Bergen. Doch schon trauert er der klirrenden Kälte des
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