Türme Der Dämmerung
Herberge, da keine Wärme davon ausstrahlt, aber … irgendetwas.
Er spürt, wie sich die Vision verfestigt. Dann sieht er eine Schutzhütte, halb im Schnee begraben, doch mit einem festen Dach.
Creslin schaut hinein. In der kleinen Feuerstelle liegen mit Staub bedeckte Holzscheite.
»Gut genug …«
Er geht hinein, legt sein Bündel auf den kalten Steinen ab und spaltet von einem Scheit dünne Späne. Dann holt er von draußen grüne Äste. Bald wärmt er sich an einem kleinen Feuer. Später genießt er heißen Tee und verzehrt beinahe den letzten Proviant. Dann schläft er in der wohligen Wärme schnell ein.
Doch vor Tagesanbruch wacht er schaudernd auf. Hatte ein weißer Vogel nach ihm gesucht? Hatte er einen Spiegel gesehen, auf dem weiße Schleier wirbelten? Die Erinnerungen sind stärker als nur ein Traum.
»Ein weißer Vogel …« Erst die schemenhafte Frauengestalt und jetzt ein weißer Vogel? Schuld? Fühlt er sich so? Weil er die Schwester verlassen hat? Weil er sich der Mutter, der Marschallin, widersetzt hat? Oder ist er von den Unbilden des Wetters und den körperlichen Anstrengungen so erschöpft, dass sein Verstand Trugbilder hervorbringt? Und der Spiegel? Was bedeutet der Spiegel?
Creslin holt tief Luft. Die Frau hat er schon gesehen, ehe Hunger und Kälte an seinen Kräften zehrten. Aber der weiße Vogel und der Spiegel – sie konnten nur ein Traum gewesen sein. Beruht sein gesamtes Leben auf Träumen? Oder sogar das aller Menschen? Träume von einer Legende? Träume von einer besseren Zeit und einem besseren Ort, der Himmel heißt. Was bin ich wirklich? fragt er sich bang. Abgesehen davon, dass ich ein Jüngling und noch kein Mann bin, der keinen rechten Platz auf der Welt zu haben scheint.
Ihm knurrt der Magen. Er schlüpft unter der Steppdecke hervor und zieht Stiefel und Jacke an.
Draußen vor der schützenden Tür in der grauen Dunkelheit kurz vor der Dämmerung heult der Wind. Creslin greift in die graue Luft und berührt den Wind, fühlt die Kälte, um herauszufinden, was der Tag bringen wird. Langsam nickt er. Der Tag wird grau und windig, doch es wird keinen Schnee geben, zumindest vorerst nicht.
Nachdem er seine Decke zusammengefaltet und verstaut hat, verzehrt er das letzte Stück Honigbrot und ein kleines Stück steinharten gelben Käse. Mit Wasser aus der Schmelzflasche spült er nach.
Dann packt er zusammen und kehrt die Asche des Feuers mit einem Fichtenzweig zu einem kleinen Haufen hinten in der Feuerstelle zusammen. Mit demselben Zweig verwischt er auch die Spuren im Schnee bis hin zur Straße. Bei diesem Wind wird in ein oder zwei Tagen niemand mehr feststellen können, wann die Hütte zum letzten Mal benutzt wurde.
Am Horizont zeigt sich ein rosafarbener Streif, der sich jedoch bald im dunklen Grau des wolkigen Tages verliert. Creslin marschiert flott auf die östlichen Gipfel der Westhörner zu, deren Ausläufer nur wenige Meilen von ihm entfernt liegen.
Ein stechender Schmerz in der Schulter erinnert ihn daran, wie weit er sein Bündel schon getragen hat, wenngleich es um einiges leichter geworden ist. Mit einem tiefen Seufzer, der sich vor seinem Gesicht in Nebel verwandelt, zieht er weiter, Schritt für Schritt weiter nach Osten. Seine Stiefel folgen den Wagenspuren, die schon manches Mal geschmolzen und wieder gefroren sind, geschmolzen und wieder gefroren.
XIX
I n jenen Tagen gab es im Himmel Herrscher über die Engel – und diese Herrscher hatten wiederum Herrscher über sich, und auch diese Herrscher hatten wiederum Herrscher über sich.
Über die Hälfte der Engel im Himmel waren Frauen, doch nur wenige der niederen Herrscher waren Frauen, und bei den höchsten Herrschern gab es überhaupt keine Frauen, selbst unter Cherubimen und Seraphimen nicht.
Die Engel im Himmel glichen Göttern und vermochten mit einem Hammer Donnerschläge zu verteilen. Jeder Engel konnte in einem feurigen Streitwagen riesige Entfernungen zurücklegen, sowohl auf der Erde als auch durch die Lüfte.
Und als die Zeit kam, da die Engel des Himmels zum Kampfe gegen die Dämonen des Lichts bereit waren, erhob sich unter den weiblichen Kämpfern die Frage: Warum kämpfen wir gegen die Dämonen?
Die Herrscher der Herrscher über die Engel antworteten: Wir kämpfen gegen die Dämonen des Lichts, weil sie sich uns widersetzen.
Und die weiblichen Engel fragten erneut: Warum kämpfen wir gegen die Dämonen?
Sie verehren das Licht des Chaos und widersetzen
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