Türme Der Dämmerung
reif für die, die folgen werden, liegt auf dem kleinen Schneehügel, auf dem er bei seinem Sturz den Hang hinuntergerutscht ist.
Keine hundert Ellen unter ihm beginnt der Nadelwald. Creslin holt tief Luft und untersucht sein Bündel. Erleichtert stellt er fest, dass noch alles da ist. Auch das Kurzschwert steckt in seiner Scheide. Er richtet sich mühsam auf und klopft den nassen Schnee von der Kleidung, der hier unten weitaus klebriger und schwerer ist als oben am Hang, wo seine wilde Abfahrt ihren Anfang nahm.
Der Knöchel tut zwar weh, ist aber nicht druckempfindlich. Er stellt sich auf die Skier und macht sich auf den Weg nach unten zum Wald. Vorsichtig vollführt er einen Schwung nach dem anderen. Er weiß, er muss sich beeilen, um die wild entschlossene Garde abzuhängen, die ihm bestimmt folgt, als hinge ihr Leben davon ab.
Seine Skier wirbeln den Pulverschnee auf wie der Wind. Die Luft hinter ihm gefriert, die Wintersaat unter der Frostgrenze zieht sich wohl noch tiefer in den kargen, steinharten Boden zurück. Schwer keuchend dringt er eine halbe Meile weit in den Wald ein.
Dann bleibt er stehen und sammelt sich. Der Wind heult. Die Schneedecke auf dem Hügel hinter ihm schließt sich wieder, wird wieder fast so jungfräulich wie zuvor, als noch kein fliehender Prinz hindurchraste. Die kalte Luft kratzt in seinen Lungen wie eine Säge. Dem Wind standzuhalten hat ihn mehr Anstrengung gekostet als das Skifahren.
Er lehnt sich an den dunklen Stamm einer Fichte, deren Zweige erst weit über seinem Kopf zu sprießen beginnen. Er bemüht sich, ruhig und tief durch die Nase zu atmen, anstatt nach Luft zu ringen; er weiß, welchen Schaden die durch den Mund eingeatmete eiskalte Luft in seinen Lungen anrichten kann.
Er darf nicht lange rasten, bald fährt er weiter durch den Wald; immer weiter, auch als die Schatten der Abenddämmerung länger werden, auch als es Zeit wird, sich umzusehen nach einem Platz für die Nacht und einer Möglichkeit, seine Spuren zu verwischen. Solange er noch etwas sehen kann in der bedrohlich näher rückenden schneehellen Nacht, fährt er weiter, obgleich seine Beine weh tun und sein Kiefer von der Anstrengung schmerzt, den Mund ständig geschlossen zu halten, um die Lungen zu schützen.
Noch rechtzeitig entdeckt Creslin eine Gruppe Holunderbüsche, und nachdem er seine Ski abgeschnallt hat, nimmt er einen Ski zu Hilfe, um in dem natürlichen Hohlraum unter einem gefrorenen Schneeüberhang zu graben. An diesem geschützten Platz zwischen Öltuch und dicker Winterjacke wird er es warm haben. Es ist zwar nicht sehr bequem, aber warum genug, um die Nacht zu überstehen.
Als er seine Schlafgrube mit sorgfältig angeordneten Zweigen und Fichtennadeln auspolstert, glaubt er, aus den Augenwinkeln einen Schatten zwischen zwei Bäumen hindurchhuschen zu sehen. Er springt nicht auf, sondern dreht nur langsam den Kopf. Die beiden Bäume stehen knapp zehn Ellen von ihm entfernt. Doch der Schnee zwischen den Stämmen ist unberührt, nicht einmal Fährten von Hasen sind zu erkennen. Dahinter wirbelt der Wind den Schnee heftig auf, so dass Creslins Spuren schon verweht sind.
Reglos hockt er da, die Linke bereit, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Stumm späht er umher, bewegt nur die Zehen in den Stiefeln, um sie warm zu halten.
Ein trockener Ast schlägt gegen einen Baumstamm.
Plötzlich ist der Schatten wieder da. Aus dem Nichts. Creslin hält den Atem an. Die dunkle Gestalt steht auf der feinen Schneedecke, nur in dünnen Beinkleidern und einer hochgeschlossenen dünnen Bluse mit langen Ärmeln. Sie blickt zu ihm hin. Ihre Augen brennen.
Stumm starrt Creslin zurück.
Und dann ist die Schemengestalt so plötzlich verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Creslin schaudert es. Er hat die Frau nie zuvor gesehen, dennoch verfolgt sie ihn. Da ist er sicher.
Obgleich er nicht friert, zieht er die dicke Jacke enger. Vor ihm liegen noch viele, viele Meilen, ehe er der Herrscherin über Westwind und Marschallin über das Dach der Welt entfliehen kann. Und das ist erst der Anfang.
Er denkt über die Flucht nach und blickt zu den beiden Bäumen, ehe er sich in die Schlafgrube verkriecht.
XIV
N och vor Tagesanbruch erwacht Creslin. Er ist froh, dass ihn keine Schemen erwarten, weder männliche noch weibliche.
Es ist so kalt, dass sein Atem Kristalle auf den Jackenärmeln bildet. Er holt ein Proviantpäckchen heraus, isst getrocknete Apfelscheiben und trinkt mehrere Schlucke aus
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