Türme & Tote (Schundheft) (German Edition)
immer noch, aber hey, ich hab keine Lust mehr gehabt, mir dreimal am Tag anhören zu müssen, mein Zimmer sehe aus wie die Mülldeponie von Augsburg! Außerdem finde ich einfach, dass man mit siebzehn auf eigenen Beinen stehen sollte. Also jobbe ich, die Schule hab ich geschmissen, war ne lahme Veranstaltung. Im Moment bin ich ziemlich arbeitslos, in der Boutique wollten sie mich nicht mehr, weil ich den Tussen immer gesagt habe, für ihre Figur wäre ein Wurfzelt geeignet, aber kein Kostümchen. Und im Hotel am Turm spiel ich auch nicht mehr die Frühstücksmamsell, seit mir die Sache mit dem Gast passiert ist, der es irgendwie nicht leiden konnte, dass ich ihm gesagt habe, er solle ein bisschen sparsamer mit dem Käse umgehen, bei seiner Figur wäre das schlecht für die Potenz. Boah, schon wieder schlechter Sex!
Wir ziehen auf den Friedhof. Es ist ziemlich kalt geworden für Anfang September, jetzt bräuchte ich meinen Frankenstein und nicht diesen Kratzpulli. Am Grab greife ich noch einmal voll an die Zwiebel und reibe meine rechte Hand daran. Warum ich diese Nummer abziehe? Weil ich ehrgeizig bin, okay? Alle halten Tante Elfie für das raffinierteste Luder in unserer Familie, aber hey, sie war nur die Nummer zwei! Und ich bin erst siebzehn, Leute, ich bin noch im Wachstum! Mit mir werdet ihr noch euren Spaß haben, das garantiere ich euch!
So. Ich reibe mir den Saft leicht auf die Augen, Mann, der stinkt ja immer ekliger! Gerade hat meine Mutter ein Schippchen Sand in die Grube geworfen und hält mir die Schaufel hin. Ich nehme sie mit zitternder Hand und beginne laut zu schluchzen. Mir ist auch wirklich kotzübel. Meine Augen sind bestimmt knallrot, die Tränen spritzen nur so aus den Drüsen, ich lege noch einen Zahn zu, mein Schluchzen wird zum Schreien, alle starren mich an, sogar meine Mutter, die doch eigentlich wissen müsste, was für eine prima Schauspielerin ich sein kann. Aber auch sie fällt darauf rein. Schnell ein bisschen Sand und ab damit ins Loch. Nachher geht’s zum Notar, von wegen Erbschaft. Naja, wahrscheinlich hat Tante Elfie alles dem Verein zur Enthumanisierung des Lebens gemacht, also wenn es einen solchen Verein gibt. Aber sag mir, was es in Kaufbeuren nicht gibt.
Hm. Hör ich das jetzt richtig, was dieser Typ erzählt? Immerhin ist er Notar, der darf keine billigen Witze machen. Was hat er gesagt?
»Ich, Elfriede Kecks, im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte, vererbe meine Firma mit allen Vermögenswerten derjenigen Person meiner Familie, die an meinem Grab clever und gerissen genug ist, die größte Trauershow abzuziehen. Aus diesem Grunde beauftrage ich Herrn Notar Dickmantel, sich meine Beisetzung objektiv und neutral anzuschauen und dann zu bestimmen, wem das Erbe gebührt.«
Und was macht dieser Dickmantel, als er fertiggelesen hat? Er guckt mich an und lächelt...
Ein Dichter in Nöten
Tief in seine Gedanken versunken, war Peter Paul Altmann durch das kleine Tor in der Stadtmauer geschlüpft und stand nun unschlüssig am Sywollenturm. Nach rechts ins Hotel, wo ein Frühstück auf ihn wartete oder doch lieber nach links, die Straße hoch, wo in einem kleinen unscheinbaren Haus das Grauen in Gestalt einer siebzehnjährigen Göre harrte? Altmann war nie ängstlich gewesen und wählte letzteres.
Zu schade, dass Elfi tot war. Nicht dass es ihm besonders naheging, menschlich gesehen. Aber sie garantierte immerhin einen Großteil seiner Einnahmen, wenn er ehrlich war, in manchen Monaten sogar seinen gesamten Verdienst. Und er durfte umsonst wohnen, wenn auch in einem Mansardenzimmer, für das sogar die dort ansässigen Kakerlaken eine Mietpreisminderung reklamierten.
All das, schwante Altmann, konnte bald ein abruptes Ende finden. Die neue Chefin. Noch nie hatte die Welt von einer siebzehnjährigen Detektivin gehört, Altmann wunderte sich zudem, wie ein solcher Teenager überhaupt eine Lizenz als Privatermittlerin erhalten sollte. Sie durfte vielleicht als Geschäftsführerin fungieren und musste einen richtigen Detektiv einstellen, einen mit Diplom oder so. Besaß er nicht. Nicht einmal eine Schusswaffe.
Altmanns Waffe war das Wort. Was leider außer ihm keiner sonst wusste. Und nicht einfach das Wort, sondern das gereimte Wort, mit dem er einen Krimi nach dem anderen schuf, alles reimte sich perfekt, wahre Meisterwerke der Dichtkunst, wie etwa sein letztes Opus »Die Wasserleiche von Dinkelscherben«, das mit folgenden unsterblichen Versen anhob:
Es
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