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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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an Mutter, die am Herd stand, und mir, der ich am Tisch saß, vorbei. Er ging in die Stube, und wir hörten ihn im Seitenschrank kramen und mit etwas klappern. Als Mutter etwas in den unteren Zimmern besorgte, schlich ich mich zur Tür und sah, daß er einen Brief schrieb. Das war es also. Er hatte mir gestern, als die Luft schon nach Schnee roch, davon erzählt. Den Brief hatte 1790 ein Vorgänger im Türmeramt aufgesetzt und vom Notar schreiben lassen: Und bitten wir untergebenst, uns mit Holz zu versorgen, da wir es auf den Thürmen, wo die Kälte heftiger als in der Tiefe ist, so nöthig bedürfen. Jedes Jahr seit über hundert Jahren schreibt einer diesen Brief, jedes Jahr wird die Bitte gewährt: ein halbes Klafter, auszugeben bei Eintritt des Winters. Nie aber gibt es Holz, bevor die Bitte nicht geschrieben ist, und dabei reicht das Zugeteilte in keinem Winter. Er hatte mir erzählt, daß er es nicht tun würde, er würde das Spiel nicht mitspielen, das nur dazu diente, den Türmer an seine Unterlegenheit zu erinnern. Wenn Sie Holz brauchen, hatte der vom Kirchenvorstand im vergangenen Monat gesagt, setzen Sie eine Bittschrift an den Magistrat auf. Die Sache liegt nicht in meiner Kompetenz, aber hier haben Sie ein Muster. Schreiben Sie es ganz genau so, dann sollte es klappen. Ich sah Vater mit dem Schreiben ringen. Vater spielte nicht, Vater war in allem ernst, auch in seinem Spott. Er spottete, wenn er sich selbst nicht ernst nehmen durfte, wenn er bis ins Innerste nach der Wahrheit bohrte. Er spürte meine Blicke in seinem Rücken, die Geräusche von Mutters Hantierungen drangen in die Stube. Aber er wandte sich nicht um und ließ mich zusehen. Ich schloß leise die Tür, zog den schweren Paletot über und ging an seiner Stelle auf den Umgang hinaus. Von Zeit zu Zeit wagte ich einen Blick durch das Fenster.
    Jetzt schien er es geschafft zu haben. Er faltete das Papier erst längs und dann quer auf umständliche Weise. Jetzt würde er bald herauskommen. Jetzt würde es auch etwas wärmer werden. Denn solange Vater den Brief schon aufschob, war unser Holzvorrat so knapp geworden, daß nur noch zum Essenkochen Feuer gemacht wurde, und es kamen schon die ersten Nachtfröste und dieses nervös machende Pfeifen des Windes.
    Als ich wieder am Fenster vorbeikam, saß er aber noch immer da. Den Kopf vornübergebeugt, die Kerze, über der er den Lack schmelzen mußte, brannte neben ihm. Denn auch das gehörte zur Bitte: die Utensilien wurden von einem Türmer an den nächsten weitergegeben, und der Widerwillen von Generationen hing an ihnen, sie waren das Zeichen dieser Unterwürfigkeit. Vaters schwarze Haare fielen nach vorn und glänzten im Schein der Kerze, er drückte das Petschaft mit dem Zeichen der Stadt an seine Stirn. Kühl war das Messing, ich fühlte es vorm Fenster. Was mochte er denken hinter diesem Petschaft.
    Während ich viel länger als nötig an der gegenüberliegenden Seite des Umgangs neben der Tür zur Küche stand und wartete, daß er herauskäme, stellte ich mir vor, was er nun in der Stube tun würde. Das Schreiben doch wieder zerreißen. Oder herumgehen, eines der Bücher aus dem Regal nehmen und den gefalteten Bogen hineinlegen. Er nimmt, dachte ich,
Das Carillon
aus dem Regal und legt den Brief hinein. Aus diesem Buch schöpfte er die Fremdworte, die er an schlechten Tagen in seine Rede mengte. Vater hätte viel Zeit zum Lesen, er könnte sich Bücher leihen, aber er las nur in diesem einen. Ich war trotzdem nie neugierig auf dieses Buch. Denn ich war sicher, was Vater darin las, konnte ich nicht finden. Seine Vorliebe konnte wohl mit dem Buch, wohl aber auch mit dem Gegenstand des Buches, dem Carillon, zusammenhängen. Es war ein seltsames Verhältnis, das ihn mit der stündlichen Melodie des Carillons des Roten Turmes verband. Besonders in den Abendstunden, wenn eine gar nicht wiederzuerkennende Abwandlung von
Am Brunnen vor dem Tore
herüberklingelte. Vater begann dann an manchen Tagen sehr laut und falsch vom Turmumgang aus die dritte Strophe mitzusingen, quer zum lieblichen Hämmern der einfältigen Glöckchen. Gegen Ende verlor sich die Melodie, er sang kaum noch, er insistierte: Hier findst du deine Ruh, hier findst du deine Ruh. Die Leute auf dem Platz sahen kurz nach oben, noch ein Blöder, das wunderte sie nicht weiter. Nur daß die Kirche eben einen Besseren von ihrem Geld hätte bezahlen können. Und vielleicht dachten sie noch: wer will da oben schon leben. Kein Wunder, daß

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