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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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nicht, nein, hergeben will ich sie nicht die ganze Aufregung, das Auf- und Abspringen, das Vorwärtskommen. Ich weiß doch, Echo, einer muß im Weg liegen, damit darüber gestolpert wird. Hier oben aber lieg ich keinem im Weg, hier zähle ich zu den Vögeln.
St. Wenzel
    Im August wurde der Türmerposten auf St. Wenzel eingezogen. Der dortige Türmer war verstorben. Von einer Neubesetzung des Postens wurde auf Anregung des Kirchenvorstands und der städtischen Feuerwehr abgesehen, da dieser, was die eine Seite seiner Zuständigkeit anbelangte, durch den Einbau eines elektrischen Schlagwerkes zu erübrigen, seine Aufgabe der Feuermeldung hingegen, wie bekannt, unter den veränderten Umständen für Stadt und Gemeinde kaum mehr von Nutzen sei. Ferner wolle man den Türmer selbst und seine Familie nicht länger der auf dem Turm in Nähe des Dachstuhles naturgemäß hohen Brandgefahr aussetzen. Vorwände.
Sonnenfinsternis
    Diesmal war Hellmund allein gekommen, ohne Donatus oder Köppen, was er noch nie gemacht hatte. Vielleicht wollte er die angekündigte Sensation der Sonnenfinsternis von hier oben aus sehen. Na ja, besser als wenn er gar nicht kommen würde. Mir fiel aber schnell auf, daß er ungewohnt schüchtern war, was ich noch nie an ihm gesehen hatte. Und schließlich merkte ich, daß er Angst hatte, der undurchdringliche Hellmund hatte tatsächlich Angst, während der Sonnenfinsternis in der Stadt zu bleiben. Ich fragte nicht, warum, weil ich merkte, daß es ihm peinlich genug war. Gegen zwölf Uhr wurde er immer nervöser, er redete schneller, war wie angesteckt von der Unruhe der Atmosphäre. Diese übermäßige Sensibilität war es vielleicht, weshalb wir alle Hellmund so mochten. Er versteckte sie immer gut, deshalb erkannten wir den Grund für die Anziehung nicht, die von ihm ausging: daß er selbst die ganze Zeit gegen sich kämpfte, gegen das, was ihn verletzlich machte, ohne daß er sich deshalb geschont hätte. Da mußte erst eine Sonnenfinsternis kommen, daß ich das bemerkte. Die Tauben waren in der letzten halben Stunde in seltsam orientierungslosen Kreisen geflogen. Jetzt hörten sie damit auf, und wie bei einsetzendem Regen hockten sie bedrückt auf dem Kirchendach. Tatsächlich veränderte sich nun in unerwarteter Schnelligkeit das Licht. Es wurde stärker, die Gegenstände traten deutlicher hervor, sie belebten sich auf fast dämonische Weise. Hellmund aber schien sich nun wieder zu entspannen. In seiner Erleichterung sagte er: Ich wollte nicht mittendrin sein und sehen, wie die Schatten sich verlören und die Dinge wie auferstanden mit uns abrechneten. Ich wollte nicht unter den Gerichteten sein, sondern schon im Himmel. Etwas Ähnliches hatte ich nie aus seinem Mund gehört. Aber ich hatte wenig Zeit, darüber nachzudenken, denn von der Thüringer Pforte her zog ein Schatten über das Land, schnell, als würde einer mit der Hand ganze Dörfer auswischen. Der Schatten kam auf uns zu, unterschiedslos über Felder und Dörfer, er berührte die äußeren Enden der Stadt, die Hälfte des Landes lag im Licht, die andere Hälfte im Dunkel. Die Wirklichkeit wurde in einen Spalt vor der heranrückenden Front der Dunkelheit gesogen, alles Verläßliche fiel aus unseren Gedanken. Die Vögel fingen überstürzt ihre Nachtgesänge an. Aber es kam mit der Schattenfront die Gewißheit näher, daß sie auch über uns ziehen würde, daß wir uns nicht mehr bewegen müßten und alles so geschehen würde, wie es soll. Ein Wind kam auf, der Sand hochwehte. Die Häuser, die Menschen, die vom Markt aus zum Himmel hochsahen und durcheinanderriefen, verloren ihre Lebendigkeit und wurden grau, schattenlos, die Hunde bellten. Hellmund war ganz ruhig jetzt. Wir sahen einander für einen Moment in unsere grauen Gesichter.
Kollert
    Ende August kam der Kollert vom Kirchenvorstand auf den Turm, freundlich wie nie. Mit flinken Augen fragte er, wie es denn so gehe in der kalten Jahreszeit. Uns trifft es ja alle, der Krieg, ja, und der Hunger, was würde man nicht für eine richtige Schweinshaxe geben, sagte er, indem er Vater jovial auf die Schulter klopfte. Er merkte selbst an der Steifheit, mit der Vater diese übertriebene Vertraulichkeit hinnahm, daß nach dieser Seite nichts zu machen war. Und als er sich in der Küche umsah, schien es ihm sogar aufzufallen, daß von Schweinshaxen lange nicht mehr die Rede war. Er hatte also eine Kursänderung beschlossen, als er sagte: Na, jedenfalls im Osten, da stehen sie stramm, unsere

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