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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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sich vorzustellen, daß etwas da war. Daß dort nicht Wolken sind, sondern der Abdruck von festgefügten Steinen, eine Wohnung mit Menschen, mit dir, Jan, hoch oben im Himmel. Ich konnte das alles mit geschlossenen Augen besser sehen. Verstehst du?
    Den Krieg meinst du, Echo? Meinst du dort an der Front, auf dem Quadratmeter, den ich gewinne, im Gras, im Vorwärtsrennen, in der Angst, die meine ist und nur meine, in der Gefahr, die meine ist und nur meine, im Tagwerden und Nachtwerden könnte ich nicht verstehen, was das ist: Krieg? Würde ich dabeisein, näher als die zu Hause Gebliebenen, und würde doch nicht verstehen können, was der Krieg macht, warum ich kämpfe, was geschieht durch meinen Sieg, den gewonnenen Quadratmeter. Was geschieht durch meinen Tod, der eine Zahl ist in der Zeitung, vor der sich an den Kästen die Leute drängen, die lesen: Frontlinie soundsoviele Kilometer vorgerückt, die soundsovielte französische Armee geschlagen, hundert Tote auf deutscher Seite. Und was geschieht, wenn die Nachricht hier hochgelangt, wenn Mutter die Zeitung von hinten her aufschlägt, beim Verzeichnis der Namen der Gefallenen, wenn sie jeden Tag fürchtet, daß ein Brief kommt und nach dem Ende des Krieges einer mit meinem Tagebuch? Meinst du, Echo, das alles läßt sich nicht verstehen, wenn man darin verwickelt ist? Wenn man mitten im Krieg ist, ist man am weitesten davon entfernt?
    Ja, ich meine das. Aber etwas anderes meine ich auch: weil ich nie da unten war, weil ich nicht vor Nähe blind war, weil ich nicht berührt wurde von den ungenauen Mienen und Gesten, weil ich die Kühle eines großen Häuserschattens nicht gesucht habe, verstehe ich auch nur die Hälfte. Wenn du hierbleibst, Jan, wenn du alle Zeitungen liest und in den Briefen deiner Freunde noch zwischen den Zeilen liest, wenn du die Landkarten anstarrst mit den Namen der Orte und den Farben der Landschaft und die Augen schließt und das alles wie wirklich vor dir siehst. Dann ist es doch nicht so viel, wie betroffen zu sein von der Angst, der Wut, der Betäubung, dem Rausch. Genaugenommen siehst du, wenn du hierbleibst, mehr als die, die an der Front sind, denn es ist dort so, wie wenn man in die Sonne schaut, und sie nicht mehr sieht. Aber geblendet zu sein kann mehr Bedeutung haben als jedes Verstehen.
    Danke, Echo. Wofür? Sie stand auf und ging weg mit einer Handbewegung, als wäre nicht der Dachboden ihr Zuhause, sondern als ginge sie weit weg, um mich allein zu lassen, ganz allein mit meiner Antwort, die sie fertig hier zurückließ, ohne mir zu sagen, wo sie lag. Ich wischte mit den Händen über den Boden. Ich sah nicht, wie ich das finden sollte, was da war, bis ich merkte, das ich in den Staub einen Kreis um mich gezogen hatte, einen dunklen Kreis, in dem ich hockte. Ich schloß die Augen und dachte mir die kleine Blende eines Loches zwischen zwei Ziegeln. Ich verstand, daß ich Glück haben und finden würde, was ich suche. Ich hatte es zweimal erlebt, unten im Kirchenschiff, wie durch das Fenster, das die Symmetrie des Obergadens durchbrach, ein kleiner Lichtkreis auf die Dornenkrone des von der Decke herabhängenden Kruzifixes fiel. Eine Viertelstunde dauerte das. Ich wußte, was jetzt mein Ort war: der Turm. Es kam darauf an, meine Vorstellung vorauszuschicken an die Front und hierzubleiben, auf dem Turm zu bleiben, so lange wie das ging, den Blick zu üben mit jedem Tag. So daß ich irgendwann, wenn es das Leben hier oben nicht mehr gäbe, doch diese Perspektive behielte: inmitten, von oben. Aber die Arbeit meiner Vorstellungskraft durfte keine Träumerei sein. Sie mußte Wirklichkeit gewinnen: ich müßte Echo erzählen, was in meiner Vorstellung geschah. Es müßte sein, als erzählte ich ihr von dort. Sie muß es glauben und ich auch, daß ich alles so gesehen und erlebt habe. Nur was das Verwikkeltsein betrifft, wie sollte ich das erleben? Es wäre nur eine Aneignung von Gehörtem, von Ähnlichem, von Köppens Briefen und den Erzählungen der Fronturlauber und Versehrten. Nein, wie es sich anfühlt, kann ich nicht wissen, und es ist auch nicht wichtig für jetzt, denn was ich erfahren will, ist der Blick, den ich dort lerne: das andere, von dem Echo sagt, daß es so nah am Gegenstand ist, daß man ihn nicht mehr sieht. Ich war erschöpft wie nach einem schweren Traum.
Front
    Meine Echo, ich bin dort, ich lag lange wach in der Nacht und hörte auf die Geräusche der Stadt, bis allmählich das Räderrollen, das Scheppern der

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