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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Danz
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Beerdigung zu Hause wird es sein, wenn die Kameraden am Grab stehen und ein Gedanke sie verbindet: um wie viel teurer diese Erde geworden ist, nachdem sie sein Blut getrunken hat, und wieviel ernster wir seinen Kampf aufnehmen werden. Jan, ich sehe das alles so deutlich vor Augen, als ob ich schon im Feld stünde. Es gibt keine andere Wahl für mich, auch wenn es das Leben kosten kann. Und ich weiß, daß zwischen denen, die im Krieg waren, und denen, die zu Hause geblieben sind, später keine Brücke mehr sein wird. Sie werden zu verschiedenen Welten gehören, als läge ein Lebensalter zwischen ihnen. Denn sie haben nie die Begeisterung erlebt und das Einssein mit dem Lebendigen. Jan, ich weiß, daß dich etwas hier hält, obwohl ich es nicht verstehe. Wir haben zu wenig miteinander geredet. Ich würde es auch nicht feige finden, wenn du dich nicht meldest. Aber uns würde nach dem Krieg nichts mehr verbinden. Wenn du hier herunterkämst, und du weißt selbst, daß eure Tage hier oben gezählt sind, würden alle, die an der Front waren, dich nicht mehr zu ihresgleichen rechnen. Sondern zu den paar Alten, die zu Hause geblieben sind. Oder zu den Vögeln, Köppen lachte kurz. Ich muß darüber nachdenken, Köppen, ich sage es dir morgen.
Krieg
    Echo, dachte ich, als Köppen gegangen war, Echo wird die Antwort wissen. Am Abend ging ich auf den Dachboden. Es war etwas Seltsames mit diesem Abend. Als die Feierabendglocken läuteten, war es, als schlügen sie in einem leeren Raum. Es war wie Ersticken. Das Sichentfernen der letzten langsamen Glockenschläge. Abgang von der Bühne. Der Vorhang sinkt. Moment des Stillstands. Dann ein Reißen, der Vorhang fällt mit seiner Verankerung zu Boden. Der Blick auf die Bühne. Illusionslos. Die ganze Mechanik der Verzauberung tritt zutage: Rollen, Züge, Gleise, Seile, Stangen. Alles in seiner Bahn. Alles so ohnmächtig an seinem Platz. Menschenleer die Stadt. Und selbst wenn einer käme. Dann würde er nur an dem für ihn vorgesehenen Platz auf der Bühne stehen können. Vor einer Wand. Unter der Seilwinde. Neben dem Ausgang.
    Ich brauchte Echo nicht lange zu suchen, sie kniete vor der vorderen Luke und hatte die Augen geschlossen. Ich kniete mich neben sie und schloß ebenfalls die Augen. Lange saß ich so und hörte auf die Geräusche der Straße, auf die Stimmen der Menschen, die Ausrufer der Abendzeitung mit den immergleichen Schlagworten, die, je öfter ich sie hörte, zu ganz anderen Worten wurden. Die Motorengeräusche, den gefräßigen Lärm der Spatzen, das hastige Flattern der Tauben, wenn sie vor den Drahtspießen wieder abdrehten, das Abendlied eines Rotschwänzchens, das Herunterfallen von Gegenständen, Klavieretüden, Kochtopfgeklapper, Türenschlagen. Bis Echo mich fragte, weshalb ich gekommen war. Sie hatte also bemerkt, daß ich nicht ohne Grund hier war. Köppen war da, sagte ich, er will sich melden. Ich schwieg. Echo saß reglos wie vorher, ich wußte nicht einmal, ob sie mich verstanden hatte. Es war auch nicht mehr wichtig. Jetzt war erst Abend, erst einmal nur der Abend davor.
    Aber Echo hatte mich verstanden. Als du hereinkamst, Jan, da hatte ich meine Augen geschlossen und habe die Stadt gesehen, ich habe die feinen Züge in den Gesichtern gesehn, die die Menschen gern hätten. Die sie aber über den häufigen Gebrauch der eindeutigen Zeichen, das freundliche Lächeln, das ärgerliche Stirnrunzeln vergessen haben. Ich habe hinter meinen geschlossenen Lidern so viele Schattierungen von Licht gesehen, als ich mir die Häuserreihen, die Mauervorsprünge, die Linien der Gesimse vorstellte – und wie diese Linien sich durch die Luft fortsetzten. Vor allem die Luft habe ich gesehen, sie war fester Stoff, und die Häuser und Menschen waren in ihr nur wie Abdrücke fossiler Gedanken, die sie wieder vergessen würde. Der Turm scheint uns, als ob er in den Himmel gehört, als ob er das einzig Sichtbare in einem leeren Raum wäre. Aber der Turm gehört zur Erde wie ein Baum, und wenn sie ihm dort den Stand nehmen, dann ist da in der Luft nur noch sein Abdruck. Wie lange? Ich weiß nicht, es hängt von der Physis ab: wie lange die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut brauchen, um das alte Bild zu erneuern. Oder es hängt vom Menschen ab, der den Eindruck bewahrt. In manchem hat schon die nächste Veränderung die Erinnerung überlagert. Manche sehen ihn lange als eine Lücke im immergleichen Blau. Nur wenn es ein bewölkter Tag ist, dann fällt es auch ihnen schwer,

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